Genügend Puste für globale Gesundheit, die alle erreicht?
Jan-Thilo Klimisch und Peter Wiessner zu dem Gipfelmarathon mit gleich vier hochrangigen Treffen bei den Vereinten Nationen
Vom 18.-22.09.2023 finden bei den Vereinten Nationen in New York direkt aufeinanderfolgend gleich vier hochrangige Treffen statt, welche die Weichen zur Bewältigung akuter globaler Gesundheits-Herausforderungen und für das Erreichen der gesundheitsbezogenen nachhaltigen Entwicklungsziele bis 2030 stellen sollen.
- 18.-19.09.23 SDG Summit
- 20.09.23 UN HLM on Pandemic Prevention, Preparedness and Response (PPPR)
- 21.09.23 UN HLM Universal Health Coverage (UHC)
- 22.09.23 UN HLM Tuberculosis (TB)
Vertreter*innen der Staatengemeinschaft der Vereinten Nationen analysieren, diskutieren und beschließen auf höchster politischer Ebene – erwartet wird die Teilnahme vieler Regierungschefs und -chefinnen, zumindest aber der zuständigen Fachminister*innen – Fortschritte und vor allen Dingen Entwicklungshemmnisse in den einzelnen behandelten Themenfeldern, nicht zuletzt mit Blick auf in der Vergangenheit getroffene Vereinbarungen. Das Ergebnis wird sich aus Bekräftigungen früherer Beschlüsse sowie hoffentlich auch neuen strategischen Ansätzen, konkreten Umsetzungsschritten und – die Hoffnung stirbt zuletzt – deren Finanzierung zusammensetzen. In aller Regel werden bei diesen Treffen politische Abschlusserklärungen unterzeichnet, die Signalwirkung entfalten und den Weg für die kommenden Jahre aufzeigen sollen. Hinsichtlich ihrer Verbindlichkeit und daraus abgeleiteten Rechenschaftspflicht gab es bislang leider oftmals viel Luft nach oben.
Der Aushandlung der Abschluss-Communiqués ging ein mehr als halbjähriger Konsultationsprozess voraus, zu dem auch Stimmen der Zivilgesellschaft und Vertreter*innen besonders vulnerabler Gruppen und Communities gehört wurden, welche mit den Deklarationen besser erreicht werden sollen. Wie dieser Prozess in einzelnen Ländern und Regionen funktioniert, hängt natürlich von der jeweiligen Wert- oder Geringschätzung ab, die Zivilgesellschaften dort erfahren. Dabei treten große Unterschiede zutage, gibt es doch nach wie vor Regime, die zivilgesellschaftlichen Input generell als Bedrohung der eigenen Autorität wahrnehmen und unterbinden. Einzelne Staaten – Russland geht hier mit schlechtem Beispiel voran – versuchen den Ausschluss missliebiger Gruppen und/oder Vertreter*innen der Zivilgesellschaft durchzusetzen: kleiner werdende Räume („shrinking spaces“) für zivilgesellschaftliches Engagement sind bedauerlicherweise auch bei den Vereinten Nationen zu beobachten. Zu loben ist in Vorbereitung auf die diesjährigen hochrangigen Treffen immerhin die Ansetzung von so genannten „Multi-Stakeholder-Hearings“ bereits Anfang Mai durch den amtierenden Präsidenten der UN-Generalversammlung. Dieser Ansatz sollte weiterverfolgt, aber auch weiterentwickelt werden – unter anderem hinsichtlich einer transparenteren Auswahl der am Ende zu Wort kommenden Akteure, wie auch bezüglich einer gezielteren Förderung der Einbeziehung von benachteiligten zivilgesellschaftlichen Stimmen aus dem Globalen Süden.
Der diesjährige SDG-Gipfel markiert die Halbzeit der 2015 durch die Staatengemeinschaft beschlossenen 17 Nachhaltigen Entwicklungsziele. Er dreht sich um die Frage, wie die Agenda 2030 noch zu verwirklichen ist. Die Halbzeitbilanz stimmt leider alles andere als zuversichtlich. Bei der Erreichung der SDGs wurden zuletzt eher mehr Rück- als Fortschritte gemacht. Den Auswirkungen von Klimakatastrophen, Konflikten, wirtschaftlichem Abschwung, anhaltenden Negativ-Effekten der Corona-Pandemie sowie den weltweiten Folgen des russischen Angriffskrieges in der Ukraine muss dringend durch gemeinsames und entschlossenes politisches Handeln begegnet werden.
Das UN HLM zu Pandemieprävention, -vorsorge und -reaktion zielt darauf ab, die richtigen Lehren aus den vielschichtigen Folgen einer Pandemie zu ziehen, wie sie die Welt in den vergangenen drei Jahren erlebt hat und wie sie jederzeit wieder bevorstehen könnte. Was wir dazu brauchen, ist die Etablierung sektorübergreifender Ansätze. Wir setzen uns dafür ein, dass die jahrzehntelangen Erfahrungen und etablierten Strukturen zur Bekämpfung bisheriger Pandemien, wie bspw. zu HIV, TB, Malaria sowie weiteren vernachlässigten und armutsassoziierten Krankheiten mit einbezogen und eine Doppelung bereits existierender Strukturen vermieden wird. Wir müssen für weltweit barriere- und diskriminierungsfreie, gerechtere Zugänge zu Medikamenten, Diagnostika, medizinisch-technischen Hilfsmitteln und Schutzausrüstung sorgen. Und wir sollten den Aufbau statistischer Kapazitäten und die Erhebung disaggregierter Gesundheitsdaten stärker fördern.
Das UN HLM zu allgemeiner Gesundheitsversorgung (UHC) bietet Ländern und Interessenträger*innen die Gelegenheit, Fortschritte bei der Stärkung gesundheitsfördernder Strukturen für alle vorzustellen und weiter auszubauen. Gebraucht wird ein handlungsorientierter Maßnahmenkatalog, der auf der politischen Erklärung von 2019 aufbaut und sich auf die Schaffung widerstandsfähiger und gerechter Gesundheitssysteme konzentriert. Medizinische Grundversorgung und lokal verankerte gemeindebasierte Ansätze sollten dafür die Grundlage bilden. Umsetzungskonkretion, Monitoring-Vorgaben und Rechenschaftspflicht müssen deutlich über die Erklärung von 2019 hinausgehen, wenn das Dokument tatsächlich Wirksamkeit entfalten möchte.
Im Rahmen des UN HLM zu Tuberkulose soll eine umfassende Überprüfung der 2018 während des ersten UN HLM zu Tuberkulose formulierten Ziele erfolgen, auch um Lücken und Lösungen zu deren Schließung zu ermitteln und Fortschritte bei der Beendigung der Tuberkulose-Epidemie bis 2030 zu verstärken.
Wir haben im Vorfeld aktiv unsere Expertise, Haltungen und entsprechende Forderungen bei den Verantwortlichen aus Politik und Verwaltung eingebracht und werden beobachtend an den Treffen in New York teilnehmen und mit unserem Blickwinkel als zivilgesellschaftliche Organisationen darüber berichten. Es ist immens wichtig, dass die verabschiedenden Beschlüsse so konkret wie möglich gehalten, dass Fristen zu deren Umsetzung genannt, Vorgaben zu deren unabhängigen und transparenten Überprüfung gemacht und Aussagen zur Finanzierung vereinbarter Vorhaben getroffen werden. Daran wird sich der Erfolg des Gipfelmarathons bemessen und zeigen, ob genügend Puste für globale Gesundheit vorhanden ist, die alle erreicht.
Von Jan-Thilo Klimisch, Christoffel Blindenmission / VENRO und Peter Wiessner, Aktionsbündnis gegen AIDS