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Bericht vom UNAIDS PCB Meeting

Put the money, where your mouth is! Deutschland darf UNAIDS nicht im Stich lassen

foto Peter Wiessner

Vom 13.-16. Dezember 2022 fand in Chiang Mai/Thailand das 51.Treffen der UNAIDS Programme statt (UNAIDS PCB). Deutschland hat in den kommenden beiden Jahren den Vorsitz dieser Treffen. Das ist aufgrund der sehr progressiven inhaltlichen Positionierung, die Deutschland in die, während der Treffen stattfindenden Diskussionen einbringt, sehr begrüßenswert. Es gibt aber auch ein Manko: Deutschlands vorgesehener finanzieller Beitrag für UNAIDS im Jahr 2023 beträgt gerade einmal 3,75 Millionen Euro. Damit wird die Finanzierungslücke von UNAIDS nicht geschlossen werden können. Als Vorsitzende bei den PCB Meetings sollte die Bundesregierung vorangehen und den Beitrag deutlich er-höhen. Bisher hat Deutschland - mit wenigen Ausnahmen - nie mehr als 2-3% zum Kernbudget von UNAIDS beigetragen. Das muss sich ändern, wenn Deutschland als Vorsitzende der PCB-Meetings wirklich ernst genommen werden möchte: Germany, put the money, where your mouth is! - Worte allein genügen nicht! - würden sicher manche der Teilnehmenden bei den PCB-Meetings laut ausrufen: Die Netiquette dieser Treffen verbietet das natürlich. Ein Beitrag von jährlich 20-25 Millionen wird von vielen für absolut angemessen erachtet: Deutschland darf UNAIDS nicht im Stich lassen. Als Vorsitzende bei den PCB-Meetings ist der bisher vorgesehene finanzielle Beitrag peinlich!

Was ist die Rolle von UNAIDS?

UNAIDS koordiniert mit 11 anderen Partnerorganisationen der Vereinten Nationen, wie bspw. dem UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) und dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF), die internationalen Bestrebungen zur Beendigung der HIV-Epidemie. Dies geschieht in Abstimmung mit allen Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen. UNAIDS erstellt die globale AIDS-Strategie, entwickelt Standards und macht Studien zur globalen epidemiologischen Situation, um diese zu analysieren, neue Trends zu entdecken und darauf reagieren zu können. Auf der Basis des gesammelten Wissens versucht UNAIDS die HIV-Arbeit global abzustimmen. Dass dies aufgrund unterschiedlicher Vorstellungen ein konfliktreiches Unterfangen ist, wird während der Diskussionen der UNAIDS PCB Meetings regelmäßig sehr deutlich:

Natürlich wehren sich die 67 Länder, die die Lebensweisen von LGBTQ+ Communities als minderwertig erachten, gegen Programme, die sich an den Bedarfen dieser Zielgruppen ausrichten. Das gleiche gilt für die mehr als 100 Länder die Drogengebrauchende kriminalisieren oder die die Anerkennung der Zivilgesellschaft als Partner in der Politikentwicklung als bedrohlich erachten, schlichtweg ablehnen und bekämpfen. Das gleiche gilt für Länder, die die Rechte von Frauen ablehnen und die Erwähnung des Worts „Menschenrechte“ als Zumutung empfinden, bzw. als Produkt des Westens diffamieren.

Das Ziel eine gemeinsame globale Strategie zur Beendigung von Aids als Bedrohung der öffentlichen Gesundheit zu verwirklichen, wird von Staaten torpediert, die die Treffen für ihre Propaganda missbrauchen. In der Vergangenheit negativ aufgefallen sind dies betreffend vor allem Russland, der Iran und andere der Staaten unter russischer Einflussnahme. Es ist überaus lobenswert, wie vehement UNAIDS dies betreffend seine Grundprinzipien, sowie die Rechte der Menschen mit HIV, der durch sie vertretenen vulnerablen Gruppen und der Zivilgesellschaft verteidigt: es gibt keine andere Organisation der Vereinten Nationen, die dies betreffend, auch nur annähernd dem nachkommt, was UNAIDS hier leistet. Ich war für das Aktionsbündnis als Beobachter der Zivilgesellschaft mit dabei. Die nachfolgenden Eindrücke stellen eine subjektive Auswahl von Themen dar. Ein offizieller, „objektiver“ Bericht wird jeweils zum darauffolgenden PCB-Meeting erstellt und nach Diskussion verabschiedet.

Gründung 1996, außerhalb „schwerfälliger“ WHO-Strukturen

UNAIDS entstand 1996 aus dem „Global Program on HIV/AIDS“ der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Aufgrund der damaligen Dringlichkeit und auch der „Schwerfälligkeit“ der WHO wurde UNAIDS bewusst außerhalb bereits existierender Strukturen geschaffen: auch damals gab es bereits, um ein Modewort aufzugreifen, „pandemic responses“.  HIV/Aids kann, so die damalige Erkenntnis, nicht allein als medizinisches Problem begriffen und bekämpft werden, da sie, bspw. aufgrund der Übertragung und höchst unterschiedlichen Ausbreitung in bestimmten Gruppen, viele Aspekte der menschlichen Gesellschaft berührt. Auch deshalb die Fokussierung auf Menschenrechte.

3,75 Millionen für UNAIDS - ein Armutszeugnis

Die Finanzierung von UNAIDS ist prekär und im Verlauf der vergangenen 10 Jahre für das Kernbudget um beinahe 50 Prozent zurückgegangen, mit erheblichen Auswirkungen auf das Programm. Allein in 2023 wird ein Defizit in Höhe von 25 Mio. USD erwartet. Für das Budget aller zwischen 2022-2026 realisierten Programme sind von den nötigen 210 Mio. USD bisher lediglich 187 Mio. zusammengekommen. Um diese Lücke zu schließen, wurden schwerwiegende Maßnahmen getroffen: so mussten 9% der Mitarbeiter*innen entlassen und Länderbüros geschlossen werden, darunter Laos und Dschibuti. Mit der Konsequenz, dass es vor Ort keine Ansprechpartner*innen mehr gibt und eigentlich auch kaum mehr koordiniert werden kann. Einigen Ländern wird dies sicherlich wenig schmerzen, Anderen schon. Es sind vor allem Menschen mit HIV und die von HIV betroffenen Gruppen, die das zu spüren bekommen werden.

Dass UNAIDS auf seine Finanzierungslücke sehr spät reagiert hat, ist sicherlich zutreffend. Das entbindet Deutschland aber nicht von der Verantwortung einen Beitrag zu leisten der anständig ist und unserer Wirtschaftskraft entspricht: Ein Beitrag von 3,75 Millionen für 2023 ist zu wenig. Es ist nicht einzusehen, warum das Bundesgesundheitsministerium (BMG) nicht alles daran tut dies zu beheben, beispielsweise durch die Einrichtung einer eigenen Budgetlinie für UNAIDS im Bundeshaushalt. Solange dies nicht der Fall ist, wird es für UNAIDS jedes Jahr ein Betteln um Mindestbeiträge geben: das ist unwürdig für ein Land, das sich gerne als „Global Health Champion“ und Vorsitzende der PCB-Meetings in Szene setzt. Es ist nicht nachvollziehbar, warum das BMG sich hier sträubt.

Eine wirkliche Entgleisung in Bezug auf die Diskussion zur Finanzierung von UNAIDS leistete sich die Vertreterin Russlands. Sie nutze das Treffen zu Staatspropaganda und verspottete die Engpässe bei der Finanzierung: die 42 Milliarden USD, die die Weltgemeinschaft bisher zur Finanzierung ihres Kriegs in der Ukraine ausgegeben habe, hätten besser für Ausgaben im Bereich globaler Gesundheit genutzt werden können. Dass Russland keinen Beitrag zur Finanzierung von UNAIDS leisten könne, wurde mit den Sanktionsmaßnahmen begründet. Es ist nicht das erste Mal, dass Russland die Treffen von UNAIDS für seine Zwecke missbraucht du sich von solidarischen Grundwerten verabschiedet.

Wissenschaftlicher Kenntnisstand zu U=U durch Russland torpediert

Die NGO Delegation legte zu dem Treffen einen sehr lesenswerten Bericht zu U = U (undetectable is untransmittable) vor, der Nichtübertragung von HIV bei erfolgreicher HIV-Behandlung vor. Bei den Berichten der NGO Delegation werden in der Regel Themen aufgegriffen, die sonst unter den Tisch fallen würden und Menschen mit HIV wichtig sind. Die Empfehlungen des Berichts waren gut: Gefordert wurde unter anderem die Verankerung von U=U in globalen, regionalen, nationalen Gesundheits- und/oder HIV-Strategieplänen und die Förderung von Anti-Stigma-Maßnahmen durch aktualisierte umfassende Sexualaufklärung. Um die Bedeutung von U=U zu unterstreichen, wird gefordert sicherzustellen, dass U=U als Argumentation zur Nutzung für einen besseren Zugang zu wirksamer Behandlung, Diagnostik und Tests genutzt wird. 

Wieder war es die Vertreterin von Russland, die als Einzige im Raum, den globalen Kenntnisstand in Frage stellte. Das Konzept sei nicht hinreichend durch Studien abgesichert, die Festlegung der Höhe der Viruslast, die nötig sei um HIV übertragen zu können sei willkürlich festgelegt und ohne Absicherung durch Studienergebnisse, geändert worden. Zudem habe die Community nicht die Expertise, die gebraucht werde, um diese Sachverhalte zu bewerten. So müssten (Lebens-) Realitäten vor Ort mit bedacht und in die Überlegungen mit einbezogen werden: bspw. die Realität falscher Testergebnisse, unterschiedliche Immunantworten, die Möglichkeit dass HIV Medikamente nicht wirkten etc. Es brauche mehr und bessere, durch Mediziner*innen durchgeführte Studien, um dies betreffen zu einem abschließenden Ergebnis zu kommen: Die Empfehlungen des Berichts seien deshalb verfrüht und abzulehnen. Russland sei gerne bereit die Standards des U=U Konzepts weiter mitzudiskutieren und zu entwickeln. Nein danke!

Toxische Männlichkeit oder toxische Klischees über Männer?

Am letzten Tag des PCB-Meetings wird gewöhnlich ein Thema behandelt, dass im Diskurs wenig Aufmerksamkeit erfährt. Thema dieses Treffens war die Frage, wie Männer in ihrer Ganzheit und Vielfalt in die HIV-Arbeit besser einbezogen werden können: UNAIDS Executive Direktorin Winnie Byanyima stellte zu Beginn der Auseinandersetzung Ergebnisse aus der epidemiologischen Forschung vor, die belegen, dass Männer in Bezug auf Gesundheit und eine entsprechende Versorgung schlechtere Ausgangspositionen haben: im Vergleich zu Frauen wissen 5% weniger Männer von ihrer HIV Infektion mit den daraus folgenden Auswirkungen (später Therapiebeginn, late presenters etc.), Männer haben global einen 10% niedrigeren Zugang zu HIV-Medikamenten, 65% der Männer unter HIV-Behandlung haben eine Viruslast unter der Nachweisgrenze (Frauen: 74%).

Als Ursache macht Byanyima geltend, dass es für Männer kaum Rollenmodelle gebe, das Hilfesuchverhalten bei Beschwerden und Krankheit sei anders. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass es nicht um ein entweder / oder gehe und das zugeschnittene Programme für beide Geschlechter nötig seien.

In der darauffolgenden, sehr beeindruckenden und reichen Diskussion wurden Rollenverhalten, kulturelle Prägung aber auch (Rollen-) Klischees zur Sprache gebracht: allzu oft werde klischeehaft über „Männlichkeit“ und „männliches Verhalten“ berichtet: neben „toxischer Männlichkeit“ gebe es eben auch „toxische Klischees“ über Männer und Männlichkeit, die den Zugang erschweren und endlich diskutiert werden sollten. Männer sind unterschiedlich und sollten in ihrer Unterschiedlichkeit wahrgenommen werden: möglicherweise sind Männer weniger „einfach gestrickt“ als oft dargestellt.

Könnte es bspw. nicht auch sein, dass der Grund für geringeres Hilfesuchverhalten bei Krankheit darin liegt, dass Männer durch unflexible Arbeitszeiten anders eingebunden sind? Oder dass sie, durch die Weise der klischeehaften Behandlung und Wahrnehmung des Gesundheitspersonals – in der Mehrheit Frauen - nicht wirklich „abgeholt“, wenn nicht sogar ausgegrenzt werden? Bei allen anderen Schlüsselgruppen werden diese eher strukturellen Zusammenhänge in Bezug auf den Zugang zur Versorgung – die manchmal auch mit Machtverhältnissen, mit Auf- und Abwertung begründet werden - diskutiert: bei Männern nicht.  

Peter Wiessner

wiessner@aktionsbuendnis-aids.de

Aktionsbündnis gegen AIDS, 2024