Sie sind hier

  1. Start
  2. Aktuelles
  3. Bericht vom Kamingespräch...

Bericht vom Kamingespräch zu der Kriminalisierung queerer Menschen in Uganda

"Wenn du nicht einmal Zugang zu grundlegenden Dingen wie Nahrung hast, wie soll es dir dann möglich sein, Zugang zu Gesundheitsdiensten zu bekommen?"

Am 29. Mai 2023 verabschiedete das ugandische Parlament ein Anti-LGBTIQ*-Gesetz. Es gilt als eines der queerfeindlichsten Gesetze der Welt. Für „homosexuelle Handlungen“ drohen langjährige Haft und in bestimmten Fällen die Todesstrafe. LGBTIQ*-Menschen leben in Uganda in permanenter Lebensgefahr. Dies hat auch massive negative Auswirkungen auf die gesundheitliche Versorgung queerer Menschen.

Jedes Jahr findet am 10. Dezember der internationale Tag der Menschenrechte statt. Zu diesem Anlass organisierte das Aktionsbündnis gegen AIDS am 6. Dezember 2023 ein Kamingespräch mit dem Titel „Wenn Kriminalisierung krank macht. Wie kann die medizinische Versorgung für queere Communities in Uganda sichergestellt werden?" (Originaltitel: „When criminalization makes you sick. How can medical care be ensured for queer communities in Uganda?”)

Bereits im Vorfeld haben wir immer wieder über das queerfeindliche Gesetz in Uganda berichtet und die Auswirkungen auf queere Menschen vor Ort.

Wir luden Richard Lusimbo (Uganda Key Populations Consortium Sexual Minorities or Chapter Four Uganda), Harriet Ludwig (Bundesministerium für Entwicklung und Zusammenarbeit), Christine Stegling (stellvertretende Geschäftsführerin UNAIDS), Alexandrina Iovita (Global Fund to Fight Aids, Tuberculosis and Malaria) und Edward Mutebi (Mitgründer der LGBTIQ*-Menschenrechtsorganisation Let's Walk Uganda) ein, ihre Erkenntnisse mit uns zu teilen.

„Menschen werden in Gesundheitseinrichtungen und Anlaufstellen angegriffen und verhaftet“

Richard Lusimbo (Uganda Key Populations Consortium Sexual Minorities oder Chapter Four Uganda) berichtete über die aktuelle Situation für queere Menschen in Uganda. Seit der Diskussion um das Anti-Homosexualitäts-Gesetz bis zu dessen Inkrafttreten kam es vermehrt zu Zwangsräumungen und Schikanen durch die Polizei. Einige Organisationen wurden zur Schließung gezwungen, und auch die Konten von LGBTIQ*-Organisationen wurden geschlossen. Lusimbo berichtete, dass seit der Verabschiedung des Gesetzes landesweit 64 Anlaufstellen – Community-basierte oder an Gesundheitseinrichtungen angegliederte Einrichtungen - geschlossen wurden und dass es in einigen Gesundheitseinrichtungen und Anlaufstellen zu Razzien und Verhaftungen kam. Aus Angst vor weiteren Razzien wurden viele Informationen und auch lebensrettende Präventionsmaterialien entfernt wie Gleitmittel und Kondome. Gesundheitseinrichtungen und Anlaufstellen versuchten, versteckt zu arbeiten, weil sie fürchten, der "Förderung von Homosexualität" beschuldigt zu werden. Dies gefährdet Leben, vor allem im Bereich der Prävention, aber auch dadurch, dass immer weniger Menschen die Kliniken aufsuchen, um lebensrettende Behandlungen in Anspruch zu nehmen. Das Gesetz hat laut Lusimbo ein Umfeld der Angst und Einschüchterung geschaffen, aber auch ein Umfeld, in dem die Communities nicht in der Lage sind, ihre Rechte so wahrzunehmen, wie es sein sollte. Dennoch wehren sich LGBTIQ*-Organisationen als Gemeinschaft und fechten das Gesetz vor dem Verfassungsgericht an, und finden weiterhin neue Wege, um ihre Dienstleistungen anzubieten.

Lusimbo hatte auch einige Forderungen an die deutsche Regierung. Er erklärte, dass die deutsche Regierung ein Visumverbot für Regierungsbeamte und alle ugandischen Personen verhängen soll, die sich an der Diskriminierung beteiligen und zur Verfolgung von LGBTIQ*-Ugander*innen und anderen Menschenrechtsverteidiger*innen beitragen. Darüber hinaus soll die deutsche Regierung die Finanzierung von Regierungsbeamten oder Agenturen einstellen, die weiterhin die Stigmatisierung und Diskriminierung von LGBTIQ*-Personen unterstützen. Bestimmte Personen sollen nicht in den Genuss des Empfangs oder der Einladungen der deutschen Regierung kommen und keine Unterstützung erhalten. In der jüngsten Vergangenheit wurde jedoch der Parlamentspräsident durch eine Einladung zu einem Treffen mit dem Papst strukturell unterstützt. Solche Signale sind nicht gut für ihre Arbeit, sagte Lusimbo.

Er sprach auch das Hauptinteresse Deutschlands in Bezug auf Unternehmen an und bemerkte, dass Unternehmen auch ihre Plattform nutzen könnten, um Regierungen auf die Rechte von LGBTIQ*-Personen hinzuweisen, anstatt sich gar nicht kritisch zu dem Thema zu äußern.

„Nicht alle bestrafen und das Kind mit dem Bade ausschütten"

Harriet Ludwig (Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) sprach über die schwierige Abwägung, die im bilateralen Bereich zu treffen ist - ob man alle Verbindungen zu Uganda abbrechen und das Feld den Gegner*innen überlassen oder ob man weitermachen soll. Sie adressierte den Übergang zu regionalen Ansätzen und das Befassen mit allgemeineren Themen wie dem Klimawandel und Geflüchteten aus dem Sudan in Uganda, anstatt alle zu bestrafen und das Kind mit dem Bade auszuschütten.

Zu der Frage, wie man die von dem Gesetz betroffenen Menschen unterstützen kann, betonte sie die Unterstützung von Klagen vor dem Ostafrikanischen Gerichtshof und die Vorbereitung eines Fonds für die juristische Unterstützung von betroffenen Einzelpersonen und Organisationen, um die Unterstützung maßgeschneiderter zu gestalten - weder das Land zu verlassen noch Menschen zu gefährden. In den Programmen werden die Themen so formuliert, dass die Menschen keiner Gefahr ausgesetzt werden, eine Art "Do no harm"-Ansatz.

„[D]iese Gesetze [...] schaffen Angst und untergraben das Vertrauen der Communities in das Gesundheitssystem"

Christine Stegling (Stellvertretende Geschäftsführerin UNAIDS) betonte, dass Uganda vor der Einführung des Gesetzes erfolgreich in Bezug auf die Erreichung der nationalen Ziele gewesen sei. Sie sprach darüber, dass UNAIDS aus der Sicht des öffentlichen Gesundheitswesens argumentiere: Das Gesetz untergrabe den Erfolg Ugandas und alle bereits erreichten Errungenschaften und gefährde das Leben aller. UNAIDS habe versucht, die Menschenrechts-Sprache zu vermeiden - eine Sprache, die wichtig ist, um von anderen Interessengruppen vorangetrieben zu werden - und sich auf die Auswirkungen dieses Gesetzes hinsichtlich der öffentlichen Gesundheit zu konzentriere.

UNAIDS arbeitet auch in Nachbarländern wie Ghana und Kenia, in denen ähnliche Gesetze in Vorbereitung sind. Stegling sprach von UNAIDS‘ Wissen, dass diese Gesetze kommen werden und dass man aus den Erfahrungen in Uganda lernen muss. Das bestmögliche Ergebnis ist, dass solche Gesetze nicht in Kraft treten, bevor sie Auswirkungen auf die Communities und das Leben der Menschen haben. Stegling betonte auch, dass es bei der Verabschiedung dieser Gesetze nicht nur um die LGBTIQ*-Community geht, sondern dass die Gesetze Angst schüren und das Vertrauen der Communities in das Gesundheitssystem untergraben. Dies wirkt sich beispielsweise auf Sexarbeiter*innen und andere Communities aus, weil die Menschen dem öffentlichen Gesundheitsdienst nicht mehr vertrauten, sagte sie.

"Kriminalisierung [...] macht unsere Gesellschaft krank"

Alexandrina Iovita (Globaler Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria/GFATM) erklärte, dass Kriminalisierung uns alle und unsere Gesellschaft krank macht. Kriminalisierung beeinträchtige die globale Solidarität, die Menschlichkeit und die soziale Gerechtigkeit als Grundpfeiler einer erfolgreichen HIV-, TB- und Malariabekämpfung.

Des Weiteren sprach Iovita über die fantastische Arbeit vor Ort, die in den LGBTIQ*-Communities und anderen Gruppen in Uganda geleistet wird, und über die Widerstandsfähigkeit, die sie unter Beweis stellen.

Der "Do no harm"-Ansatz sei in Uganda seit der Verschlechterung der Lage vor etwa einem Jahr die erste und wichtigste Aufgabe gewesen, fügte Iovita hinzu. Des Weiteren äußerte sie die Hoffnung, dass die Anfechtung der Verfassung eine Beseitigung dieses schrecklichen Gesetzes und schrecklichen Beispiels der Region bedeutet, da viele Augen derzeit auf Uganda gerichtet seien.

"Wenn du nicht einmal Zugang zu grundlegenden Dingen wie Nahrung hast, wie soll es dir dann möglich sein, Zugang zu Gesundheitsdiensten zu bekommen?"

Edward Mutebi (Mitbegründer Let's Walk Uganda) benannte die Schwierigkeiten für geflüchtete Menschen in Deutschland. Er wies darauf hin, dass es in Deutschland zahlreiche Systeme gibt und dass es für so viele Geflüchtete, die aus verschiedenen Teilen der Welt kommen, schwierig sein kann, sich darin zurechtzufinden und die Systeme hier zu verstehen - einschließlich der HIV-Grundversorgung und der Inanspruchnahme von Dienstleistungen. Viele Dienste und Organisationen bieten Versorgung und Unterstützung für die LGBTIQ*-Communities und die gesamte Community der Geflüchteten an - er fragte jedoch, wie die Informationen die Menschen erreichen würden. Woher sollte jemand wissen, der nach Berlin reist, wo bestimmte unterstützende Organisationen zu finden seien. Es gebe hier einen Mangel an Informationen. Wenn geflüchtete Menschen in Deutschland bleiben können, werden sie von der Regierung allein gelassen, um ihren eigenen Weg zu finden, sagte Mutebi, und Menschen gingen auf dem Weg verloren. Dies könne auch einen Rückfall der Menschen bei der Einnahme ihrer Medikamente zur Folge haben.

Mutebi betonte: Die deutsche Regierung muss unbedingt humanitäre Visa bereitstellen für LGBTIQ*-Menschenrechtsaktivist*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen, die aus Uganda flüchten.

Er sprach auch über vertriebene Personen aus Uganda, die nach Kenia flüchteten. In der Vergangenheit wussten er und andere, dass Kenia das gastfreundlichste Land für die LGBTIQ*-Community in Ostafrika ist; diese Situation veränderte sich jedoch stark mit einem ähnlichen Gesetz im Parlament, das LGBTIQ*-Menschen kriminalisiert. Mutebi wies darauf hin, dass LGBTIQ*-Geflüchtete in den Lagern gefoltert, geschlagen und verhaftet würden und dass es für Menschen, die mit HIV/Aids leben, sehr schwierig sei, Zugang zu Dienstleistungen zu erhalten. Außerdem berichtete er von seinen Begegnungen mit Geflüchteten, die in Nairobi und Kakuma leben und keinen Zugang zu grundlegenden HIV-Diensten haben. Wenn man nicht einmal Zugang zu grundlegenden Dingen wie Lebensmitteln hat, wie soll man dann Zugang zu Gesundheitsdiensten erhalten, fragte er.

Ausblick und Dankeschön

Das "Anti-Homosexualitäts-Gesetz" wird derzeit vor dem ugandischen Verfassungsgericht angefochten.

Ganz herzlichen Dank an die Panelist*innen Edward Mutebi und Richard Lusimbo, Christine Stegling und Harriet Ludwig, Alexandrina Iovita. Unser Dank gilt auch unseren Moderator*innen Elisabeth Massute (Heinrich-Böll-Stiftung) und Marwin Meier (World Vision), und natürlich Peter Wiessner (AgA) und Tanja Siebenbrodt (Deutsche Stiftung Weltbevölkerung) für die Begrüßungs- und Abschiedsworte. Danke auch an das Vorbereitungsteam und an die Teilnehmer*innen!

Aktionsbündnis gegen AIDS, 2024