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Klimawandel und globale Gesundheit

Hintergrundbeitrag mit Thị Hải Oanh Khuất aus Vietnam "Wir müssen jetzt handeln“

Anh Khuat - Foto Alexej Stoljarov

Vietnam ist auf dem besten Weg, Malaria und HIV zu eliminieren. Doch die hart errungenen Fortschritte, teilweise finanziert durch Organisationen, wie beispielsweise des Globalen Fonds, drohen durch die Folgen des Klimawandels zunichte gemacht zu werden, warnt Thị Hải Oanh Khuất vom Center for Support Community Development Initiatives (SCDI). Betroffen wären davon auch die Programme des Globalen Fonds. Wir bedanken uns bei Axel Schock für den Text, der auf der Basis eines aufgezeichneten Interviews des Aktionsbündnis gegen AIDS mit Oanh Khuất erstellt wurde.

Es ist ein beispielloser Erfolg. Noch vor 30 Jahren wurden in Vietnam unter seinen rund 100 Millionen Einwohner*innen jährlich eine Million Malariafälle gezählt. 2022 waren es gerade einmal 455. Nach Angaben des Institute of Malariology, Parasitology and Entomology (NIMPE) sind die Malariatodesfälle von 2000 bis 2020 um 99,3 Prozent zurückgegangen. Das von der vietnamesischen Regierung ausgerufene Ziel, den Malaria-Erreger Plasmodium falciparum bis 2025 und Malaria als Krankheit bis 2030 zu eliminieren, ist ehrgeizig, aber tatsächlich in greifbare Nähe gerückt.

Möglich geworden sei dies unter anderem durch die konsequente Umsetzung des Nationalen Malariakontrollprogramms auf allen Regierungsebenen zurückzuführen, wie Dr. Angela Pratt in einer Videoansprache anlässlich des Weltmalariatag 2023 betonte. Die WHO-Vertreterin ermutigte die Regierungsbehörden, die beteiligten Partner wie Nichtregierungsorganisation und die besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen auf den großen Fortschritten der letzten Jahrzehnte aufzubauen, um die endgültige Eliminierung der Malaria in Vietnam innerhalb der nächsten Jahre zu erreichen.

Durch den Klimawandel droht eine Destabilisierung des Gesundheitssystems

Dies aber könnte schwieriger werden als bislang gedacht. Die Rückschläge, die durch die Corona-Pandemie zu verzeichnen waren, konnten mittlerweile weitgehend wieder ausgeglichen werden. Dafür aber droht eine Verschärfung der Situation durch eine nicht minder große globale Krise: den Klimawandel. „Er ist jetzt bereits Realität. Er gefährdet Wohnraum und die Gesundheit gerade der vulnerabelsten Menschen. Es droht darüber hinaus aber auch die Destabilisierung des Gesundheitssystems, der Gemeinschaften und die Vernichtung der Lebensgrundlage vieler Menschen“, sagt Thị Hải Oanh Khuất.

Schon jetzt zeichne sich Veränderungen des Klimas in Vietnam ab und sie werden in den kommenden Jahren deutlich zunehmen, erklärt die Geschäftsführerin des Center for Support Community Development Initiatives (SCDI). Diese 2010 von Khuất mitgegründete Organisation setzt sich für die Verbesserung der Lebensqualität besonders gefährdeter Bevölkerungsgruppen ein, darunter Drogenkonsument*innen, Sexarbeiter*innen, Menschen mit HIV, deren Partner*innen und Kinder, arme Migrant*innen, ethnische Minderheiten und LGBTIQ*-Personen.

Bis 2050, so eine von der vietnamesischen Regierung in Auftrag gegebene Prognose, werde die Temperatur um 1,3 bis 1,7 Grad steigen, in Teilen des Landes sogar noch mehr. Die Regenmenge wird voraussichtlich um 5 bis 15 Prozent ansteigen. Die Folge: eine Zunahme von Taifunen, Fluten, Starkregen und Hitzewellen.

Vernichtung von Lebensraum und Anbauflächen durch Erdrutsche, Überflutungen und Versalzung

„Dadurch drohen Vietnam durch seine besonderen landschaftlichen Strukturen große Gefahren“, erläutert Khuất Thị Hải Oanh. In den Bergen sei mit Erosionen und Erdrutschen, an der über 2000 Kilometer langen Küste des Landes mit Überflutungen zu rechnen. Bis Mitte des Jahrhunderts werden weite Teile des Landes unter dem Meeresspiegel liegen, so die staatliche Prognose. Damit droht eine Versalzung des Erdreichs und der Flüsse. Trinkwasser wird knapp werden und wichtige Ackerbauflächen für die Ernährung der Bevölkerung verloren gehen.

„Die Menschen werden aufgrund der Fluten und Erdrutsche ihre Häuser verlieren und wohnungslos werden, oder sie müssen die überschwemmten beziehungsweise für die Landwirtschaft nicht mehr nutzbaren Gebiete verlassen“, prognostiziert Khuất.

Hohe Niederschläge und Temperaturen: beste Bedingungen für Moskitos

Der Klimawandel aber hat noch eine weitere folgenschwere Auswirkung, die die jahrzehntelangen Anstrengungen für die Eliminierung einer anderen Erkrankung zunichte machen könnte: das Dengue-Fieber. Denn starke Niederschläge und hohe Temperaturen bieten ideale Bedingungen für die Vermehrung von Moskitos, die das Dengue-Virus übertragen.

In Länder wie Vietnam sieht Thị Hải Oanh Khuất große Herausforderungen auf die Gesundheitsversorgung zukommen. „Wir werden mit einer großen Bevölkerungswanderung konfrontiert werden. So wird das Mekongdelta in weiten Teilen nicht mehr bewohnbar sein, weil Landstriche überflutet, Trinkwasser knapp und Ackerflächen versalzt sein werden.“

Diese Entwicklungen werden eine Kettenreaktion auslösen, deren Tragweite noch kaum zu ermessen ist – auch was die Gesundheit der Menschen und deren Versorgung angeht. „Und wir werden solche Entwicklungen nicht nur in Vietnam, sondern weltweit erleben“, ist sich Khuất sicher: „Arme Menschen werden durch die Folgen des Klimawandels noch ärmer werden und in der Konsequenz unter anderem einem größeren Risiko ausgesetzt sein, sich mit Tuberkulose, Malaria und HIV zu infizieren.“

Wer ohnehin am Rande des Existenzminimums lebt, verfügt nicht über die finanziellen Mittel und Möglichkeiten, um beispielsweise Häuser den veränderten klimatischen Bedingungen entsprechend umzubauen oder sich andernorts eine angemessene neue Unterkunft zu errichten oder fruchtbares Ackerland zu kaufen.

Arme Menschen werden noch ärmer werden

Viele dieser Menschen werden deshalb versuchen, in den großen Städten Arbeit zu finden und dort unter ärmlichen und einfachsten Verhältnissen in Slums leben. „Solche Lebensbedingen sind, wie wir wissen, ein Nährboden für Tuberkulose“, hebt Khuất hervor. Auch werden sich Menschen aus der Not heraus prostituieren und durch ungeschützten Sex sich gesundheitlichen Risiken aussetzen, befürchtet Khuất. Die Folge: eine Zunahme von HIV-Infektionen und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten.

Dabei verzeichnete das südostasiatische Land in den letzten Jahren stetige Fortschritte auch im Kampf gegen HIV und Aids. So ist die Zahl der Aids-bedingten Todesfälle zuletzt um 38 Prozent, die der HIV-Neuinfektionen um 70 Prozent gesunken.

Mitentscheidend dafür waren Programme, mit denen gezielt die drei besonders stark von HIV betroffenen Schlüsselgruppen des Landes erreicht wurden: Sexarbeiter*innen, Menschen, die Drogen injizieren sowie schwule Männer und andere Männer, die Sex mit Männern haben.

Vor über 20 Jahren war Thị Hải Oanh Khuất in ihrem Heimatland als Ärztin im Rahmen einer Evaluierung des nationalen HIV-Programms mit jenen am stärksten von HIV betroffenen Menschen in Kontakt gekommen. Das Leid, die Stigmatisierung und Ausgrenzung, der sie dabei begegnete, wollte nicht einfach hinnehmen. Sie entschloss sich, gemeinsam mit diesen Communities etwas dagegen unternehmen. Ihre Organisation SCDI wurde innerhalb kürzester Zeit eine der wichtigsten Partner im Kampf gegen HIV/Aids in Vietnam.

Der Globale Fonds hat seit 2004 Mittel beigesteuert, um im Rahmen der nationalen Tuberkulose- und HIV- Eindämmungsstrategie für diese besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen die Test-, Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten zu verbessern.

Für den Zeitraum 2021-2023 unterstützt der Globale Fonds die Tuberkulose- und HIV-Programme des Landes mit 121 Millionen US-Dollar.

„Die armen, vulnerableren und marginalisierten Menschen werden am stärksten unter dem Klimawandel leiden“

Doch mit den sich ändernden klimatischen Rahmenbedingungen werden die Zahl der Infektionen und Erkrankungen steigen. „Die armen, vulnerableren und marginalisierten Menschen werden am stärksten unter dem Klimawandel leiden“, mahnt Thị Hải Oanh Khuất. Dies werde daher auch Auswirkungen auf die Programme ihrer NGO haben, die sich genau an diese Bevölkerungsgruppen richten. „Die Menschen, die aufgrund der klimatischen Veränderungen ihre Heimatregion verlassen haben, werden an ihren Zufluchtsorten schlicht nicht wissen, wo und wie sie Hilfe bekommen können“, beschreibt Khuất das Szenario der nahen Zukunft. Das Gesundheitssystem wiederum werde Schwierigkeiten haben, diese Menschen zu finden und den Bedarf einzuschätzen, vorherzusagen und die Angebote passgenau zu planen.

Auf die Akteur*innen im gesamten Bereich des Gesundheitswesens werden daher in den kommenden Jahren und Jahrzehnten enorme Herausforderungen zukommen. Aufgaben, die ohne eine langfristige Sicherung der benötigten Ressourcen nicht zu bewältigen sein werden. Doch mindestens genauso wichtig ist es nach Ansicht von Thị Hải Oanh Khuất, die Bevölkerung in diese Prozesse miteinzubeziehen. Denn sie wird letzten Endes die Veränderungen bewältigen müssen. „Es ist daher nötig, dass der Globale Fonds seine Möglichkeiten und nutzt, direkt mit der Bevölkerung und mit dem Gesundheitssystem arbeiten. Es geht darum, die Menschen über den Klimawandel aufzuklären, sie zu informieren und mit den Communitys und dem Gesundheitswesen an Maßnahmen zu arbeiten, mit denen auf die Klimakrise reagiert werden kann“, Thị Hải Oanh Khuất. Und zwar zum einen hinsichtlich Folgen des Klimawandels, aber zum anderen auch, den menschlichen Einfluss auf den Klimawandel zu reduzieren und vielleicht sogar langfristig rückgängig zu machen.

Dass inzwischen auf internationale Ebene über den Klimawandel und die daraus erwachsenen Herausfordernden gesprochen wird, ist für sie ein gutes Zeichen, doch dies könne nur ein Anfang sein. „Nur mit Reden schaffen wir es nicht den Klimawandel zu stoppen“, warnt Thị Hải Oanh Khuấtl. „Wir müssen handeln. Und wir müssen jetzt handeln.“

Berlin, Oktober 2023

Text: Axel Schock

Fotos: Alexej Stoljarov, Pixabay

Kontakt: info@aids-kampagne.de

Aktionsbündnis gegen AIDS, 2024