Interview
Uns wurde beigebracht zu schweigen: Debt2Health als Wendepunkt für Jugendorganisationen in der Mongolei

Dieser Text basiert auf einem Interview zwischen Tilman Rüppel von Action against AIDS Germany und Anuka Anar, der Direktorin von Youth LEAD Mongolia. Das Gespräch fand am 13. Oktober 2025 in Berlin statt – unmittelbar nach unserem Panel zur Initiative Debt2Health (D2H). Die 2007 von Deutschland und dem Global Fund entwickelte Initiative wurde gemeinsam von Action against AIDS und dem Global Fund Advocates Network (GFAN) organisiert. Der D2H-Mechanismus des Global Funds ermöglicht es Ländern, einen Teil ihrer Schuldenverpflichtungen in Investitionen zur Bekämpfung von HIV/AIDS, Tuberkulose und Malaria sowie zur Stärkung von Gesundheitssystemen umzuwandeln. Deutschland spielt dabei eine Vorreiterrolle und hat mit mehreren Ländern, die Global-Fund-Mittel umsetzen, Vereinbarungen im Wert von mehreren hundert Millionen Euro abgeschlossen. Mit diesem ersten Beitrag einer Interviewreihe möchten wir untersuchen, welche Auswirkungen die Initiative auf die Zivilgesellschaft und Schlüsselgruppen in verschiedenen Ländern hat.
„Uns wurde beigebracht zu schweigen“
„In unserer Kultur wird jungen Menschen beigebracht zu schweigen – selbst dann, wenn unsere Rechte verletzt werden oder wenn uns der Staat nicht schützt“, sagt Anar Anudari, genannt Anuka, Geschäftsführerin von Youth LEAD Mongolia. „Wir lernen, still zu sein und gehorsam gegenüber denen, die Macht haben. Die Aufgabe unserer Organisation ist es, dieses Schweigen zu brechen.“
Anuka ist Geschäftsführerin von Youth LEAD Mongolia, einer Graswurzelorganisation, die junge Menschen dazu befähigt, für ihre Gesundheit, ihre Rechte und ihre Würde einzutreten. In einem Land, das sich noch immer in der postsowjetischen Transformation befindet, stellt ihre Arbeit tief verwurzelte kulturelle Tabus über Sexualität, Geschlecht und HIV in Frage.
„Weil wir so lange geschwiegen haben, wissen viele junge Menschen gar nicht, was falsch ist – oder warum es falsch ist“, erklärt Anuka. „Der erste Schritt besteht darin, ihnen zu zeigen, dass sie sprechen dürfen. Dann müssen sie lernen, wie sie sprechen – und schließlich müssen wir sicherstellen, dass ihnen auch jemand zuhört.“
Vom Schweigen zur Stimme
Trotz einer niedrigen HIV-Prävalenz ist die gesellschaftliche Stigmatisierung in der Mongolei stark ausgeprägt. Aus Angst vor Diskriminierung meiden viele das Gesundheitssystem – besonders junge Menschen, die mit HIV leben oder gefährdet sind. „Das Gesundheitssystem schließt viele Menschen aus“, sagt Anuka. „Gerade diejenigen, die keine Macht haben, ihre Rechte einzufordern, bleiben am häufigsten zurück.“
Anukas Arbeit findet in einer Zeit wirtschaftlicher und politischer Umbrüche statt. Wie viele Länder mit niedrigem bis mittlerem Einkommen trägt auch die Mongolei eine hohe Schuldenlast. „Unsere Regierung hat viele Schulden“, sagt sie. „Geld, das eigentlich in das Gesundheitswesen fließen sollte, wird zur Rückzahlung der Schulden früherer Generationen verwendet.“
Debt2Health als Wendepunkt
In den letzten Jahren wurde die Mongolei Teil der Länder, die ein Debt2Health-Abkommen umsetzen – ein Mechanismus, der von Deutschland und dem Global Fund to Fight AIDS, Tuberculosis and Malaria entwickelt wurde. Dabei wird ein Teil der bilateralen Schulden der Mongolei gegenüber Deutschland in Investitionen in das Gesundheitswesen umgewandelt, insbesondere in HIV-Prävention und -Kontrolle.
„Debt2Health hat Raum geschaffen, damit unsere Regierung nicht nur dem Global Fund, sondern auch der Zivilgesellschaft zuhört“, sagt Anuka. „Das war ein Wendepunkt. Zum ersten Mal konnten wir mitreden und Teil des Prozesses sein.“
Durch das Abkommen wurden Mittel gezielt in HIV-Prävention und Testung gelenkt – Bereiche, die in nationalen Haushalten oft unterfinanziert sind, weil der Fokus vor allem auf Behandlung liegt. „Debt2Health hat diese Lücke geschlossen“, erklärt Anuka. „Es hat Prävention und Aufklärungsarbeit in ländlichen Gebieten und unter Wanderarbeitenden unterstützt – Menschen, die in nationalen Programmen meist unsichtbar bleiben.“
Stärkung von Teilhabe
Für Anuka geht der Einfluss der Initiative über die reine Finanzierung hinaus. Sie stärkt auch die Beteiligung von Gemeinschaften an nationalen Entscheidungsprozessen – insbesondere über den Country Coordinating Mechanism (CCM), ein Gremium aus verschiedenen Akteur*innen, das die Umsetzung der Global-Fund-Programme überwacht.
„Im CCM vertreten zu sein bedeutet, eine Stimme bei Entscheidungen zu haben“, sagt sie. „Dort können wir Prioritäten mitgestalten und sicherstellen, dass Programme den tatsächlichen Bedürfnissen der Gemeinschaften entsprechen.“
Anhaltende Herausforderungen
Dennoch bestehen strukturelle Barrieren fort. In der Mongolei dürfen Menschen unter 18 Jahren keinen HIV-Test machen, ohne die Zustimmung ihrer Eltern. „Das bedeutet, dass ein 16-jähriger seinem Elternteil sagen muss: ‚Ich hatte Sex – vielleicht sogar mit jemandem desselben Geschlechts‘“, erklärt Anuka. „Also lassen sie sich einfach nicht testen.“
In den letzten Jahren sind neue HIV-Fälle unter Jugendlichen im Alter von 15 bis 24 Jahren aufgetreten – ein Zeichen für den Handlungsbedarf. „Wir setzen uns dafür ein, dass die Regierung dieses Gesetz ändert“, sagt Anuka. „Menschenrechte und Gesundheit gehören zusammen. Junge Menschen dürfen nicht zwischen ihrer Privatsphäre und ihrem Leben wählen müssen.“
