Koalitionsvertrag 2025
Kein Sparen am falschen Ende

Die Koalition zwischen CDU/CSU und SPD steht. Voraussichtlich Anfang Mai wird der neue Bundeskanzler vereidigt werden. Als Aktionsbündnis gegen AIDS haben wir auf mehreren Ebenen, durch die Erstellung von Wahlprüfsteinen, den Entwurf von Wahlempfehlungen, einer kleinen Social Media Kampagne, durch Pressemitteilungen und Briefe an die Verhandler*innen der Koalitionsvereinbarungen unsere Stimme geltend gemacht. Tilman Rüppel, medmissio und Vorstandsmitglied im Aktionsbündnis gegen AIDS unternimmt in diesem Meinungsbeitrag eine erste Analyse des Koalitionsvertrags.
Ein positives Signal des neuen Koalitionsvertrags zwischen CDU/CSU und SPD ist zweifellos: Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) bleibt bestehen. Die ursprünglich von der Union angestrebte Integration in das Auswärtige Amt hätte nicht nur zu massiven Reibungsverlusten geführt, sondern auch Zeit gekostet, die wir in einer multiplen globalen Krisenlage schlicht nicht haben. Länder wie Australien, Kanada und das Vereinigte Königreich haben diesen Schritt bereits vollzogen – mit klar negativen Folgen: Die politische Sichtbarkeit der Entwicklungszusammenarbeit nahm in den Partnerländern ab, und sowohl die Quantität als auch die Wirksamkeit der Programme litten. Die Entwicklungen in den USA – insbesondere die Auflösung von USAID und die Überführung der Reste in das US-Außenministerium – sind ein abschreckendes Beispiel dafür, was passiert, wenn entwicklungspolitische Strukturen zerstört werden: Multilaterale Organisationen wie die WHO warnen, dass der daraus resultierende Schaden in Millionen vermeidbaren Todesfällen münden könnte.
Gleichzeitig sendet der Koalitionsvertrag ein alarmierendes Signal: Die geplanten Kürzungen der Mittel für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe sind ein Bruch mit der seit 1970 bestehenden internationalen Vereinbarung, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens (ODA-Quote) für Entwicklungszusammenarbeit aufzuwenden. In einer Zeit, in der andere große Geberstaaten wie die USA sich aus ihrer Verantwortung zurückziehen, ist dieser Schritt besonders fatal. Wer heute spart, zahlt morgen einen vielfach höheren Preis – nicht nur finanziell, sondern auch menschlich.
Bereits jetzt weist etwa Africa CDC eindringlich darauf hin, dass die drastischen Kürzungen im Bereich Globale Gesundheit dazu führen, dass sich die Staaten im Globalen Norden nicht wundern müssen, wenn die nächste Pandemie aus Afrika stammt. Gleichzeitig warnt UNAIDS vor einem dramatischen Anstieg vermeidbarer AIDS-Todesfälle, sollte die internationale Versorgung mit HIV-Medikamenten wegbrechen. Die Prognose: 6,3 Millionen zusätzliche Todesfälle in den kommenden vier Jahren – verursacht durch politischen Unwillen.
Erschreckend ist auch die im Koalitionsvertrag angekündigte Kürzung freiwilliger Beiträge an internationale Organisationen. Gerade jetzt, wo die USA ihre Unterstützung reduzieren, sind verlässliche Partner wie Deutschland wichtiger denn je. Die WHO, Gavi und der Globale Fonds retten Millionen Leben, indem sie Impfungen, Medikamente und Gesundheitsversorgung weltweit ermöglichen. Diese Strukturen lassen sich nicht kurzfristig ersetzen und müssen entsprechend finanziert werden. Denn sie sind essenziell für das Überleben der Menschen vor Ort.
Besonders enttäuschend ist, dass der neue Koalitionsvertrag kein klares Verhältnis mehr zwischen Militärausgaben und Mitteln für Entwicklungszusammenarbeit nennt. Die frühere 1:1-Regelung mag nicht eingehalten worden sein, aber sie formulierte zumindest einen Anspruch auf Balance. Angesichts steigender Verteidigungsausgaben – auch für die Ukraine – wäre ein entsprechendes Bekenntnis zur zivilen Unterstützung umso dringlicher. Denn insbesondere die Ukraine selbst benötigt sehr viel höhere finanzielle Mittel im zivilen Bereich, weil die Energieinfrastruktur weitestgehend zerstört wurde und immer noch wird sowie Unterstützung für Binnengeflüchtete, die Gesundheitsversorgung und zahlreiche weitere für das (Über)leben der Menschen essenzielle Aktivitäten bezahlt und durchgeführt werden müssen.
Zudem ist es kritisch zu bewerten, dass im Vertrag der Fokus auf “deutsche Interessen” in der Entwicklungszusammenarbeit explizit betont wird. Zwar ist eine interessengeleitete Außenpolitik legitim – doch wenn Entwicklungszusammenarbeit vorrangig zur Rohstoffsicherung oder zur Migrationskontrolle instrumentalisiert wird, drohen langfristige Partnerschaften und nachhaltige Entwicklungsprozesse Schaden zu nehmen.
Auch die im Koalitionsvertrag angekündigte stärkere Verzahnung von Entwicklungszusammenarbeit und Außenwirtschaftspolitik muss kritisch hinterfragt werden. Denn nachhaltige Entwicklung, der Schutz von Menschenrechten und das internationale Leitprinzip “Leave no one behind” sind zentrale Grundpfeiler wirksamer Entwicklungszusammenarbeit – und sie stehen nicht selten im Spannungsverhältnis zu kurzfristigen wirtschaftlichen Interessen. Eine an ökonomischer Verwertbarkeit ausgerichtete Politik läuft Gefahr, diese Werte zu untergraben und die langfristige Wirkung entwicklungspolitischer Maßnahmen zu schwächen.
Zwar enthält der Koalitionsvertrag ein grundsätzliches Bekenntnis zu den Zielen des Pariser Klimaabkommens und der Erreichung der internationalen Nachhaltigkeitsziele. Doch dieses Bekenntnis bleibt hohl, wenn gleichzeitig die Mittel gekürzt werden, mit denen genau diese Ziele erreicht werden sollen. Wer Nachhaltigkeit ernst meint, muss sie auch finanzieren.
Fazit: Die neue Koalition sendet widersprüchliche Signale. Während der Erhalt des BMZ ein wichtiger Schritt ist, stellen die geplanten finanziellen Einschnitte und die Umdeutung entwicklungspolitischer Ziele unter nationalem Vorzeichen einen gefährlichen Rückschritt dar. Globale Gesundheit, humanitäre Hilfe und nachhaltige Entwicklung sind keine Luxusprojekte – sie sind die Basis für ein gerechtes und sicheres internationales Miteinander. Deutschland kann und muss hier mehr leisten – nicht weniger.
Tillman Rüppel
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