Eudora Ogechukwu aus Nigeria
Jeder Einzelne kann Teil der Veränderung sein
Nigeria macht im Kampf gegen HIV, Tuberkulose und Malaria zwar respektable Fortschritte, doch ein Teil der Bevölkerung, nämlich queere Menschen, werden von der Gesundheitsversorgung faktisch ausgeschlossen. Eudora Ogechukwu engagiert sich auf verschiedenen Ebenen deshalb besonders für diese Community, und für Intersexuelle im Besonderen. Herzlichen Dank an Axel Schock für den behutsamen Text den wir auf der Basis eines Video Interviews mit Eudora zu der Rolle der Globalen Fonds zur Erreichung gesundheitlicher Chancengleichheit geführt haben. Das Video und die Texte mit weiteren Fotos von Eudora Priscilla stehen unten in Deutsch und Englisch zum Download bereit.
Mit über 200 Millionen Einwohnern ist Nigeria nicht nur das bevölkerungsreichste Land Afrikas, es steht auch vor enormen gesundheitlichen Herausforderungen. So wird etwa ein Viertel der weltweiten Malariafälle in dem afrikanischen Staat am Golf von Guinea registriert.
Entsprechend hoch sind die Anstrengungen des Global Fund, Nigeria in der Gesundheitsversorgung zu unterstützen. Seit 2002 wurden über 4,8 Milliarden US-Dollar investiert, darunter 1,2 Milliarden im letzten Zyklus – so viel wie in keinem anderen Land.
Ein Engagement, das Wirkung gezeigt hat: Mit der Unterstützung von Gebern und Partnern konnten in Nigeria solide Fortschritte bei der Bekämpfung von HIV, Tuberkulose und Malaria gemacht werden. So kennen mittlerweile 90 % der Menschen, die mit HIV leben, ihren Status. 98 % von diesen sind in Therapie, und bei 95 % der Behandelten ist die Viruslast unter der Nachweisgrenze. Seit 2012 sind die HIV-Neuinfektionen um 28 % zurückgegangen. Im Bereich der Tuberkulose stieg die Behandlungsrate zwischen 2019 und 2021 von 24 auf 40 %. Auch bei der Malariabekämpfung hat Nigeria beachtliche Fortschritte erzielt und die Prävalenz der Krankheit zwischen 2010 und 2018 um fast 50 % gesenkt. So wurde durch die Investitionen des Global Fund nun in den vergangenen fünf Jahren die Verteilung von rund 90 Millionen mit Insektiziden behandelten Moskitonetzen ermöglicht.
Mit derlei Programmen kann zwar die Ausbreitung von Malaria eingedämmt werden, doch um allen Menschen ihr Recht auf Zugang zur Gesundheitsversorgung zu ermöglichen braucht es weitergehende, strukturelle Veränderungen.
Ohne die Gleichstellung der Geschlechter gibt es keine Gleichheit bei der Gesundheit
Der Globale Fonds hat sich deshalb auch verpflichtet, die Gleichstellung der Geschlechter voranzutreiben. Denn Frauen und Mädchen sind häufig mit höheren Risiken und einer größeren Anfälligkeit für Infektionen konfrontiert, haben oftmals keinen oder schlechten Zugang zu Gesundheitsinformationen und -diensten. Und sie verfügen zudem nicht über die nötige Entscheidungsgewalt und Kontrolle über Ressourcen. Letztlich haben starre Geschlechternormen auch Folgen für die Gesundheit – und zwar nicht nur für die von Frauen und Mädchen, sondern auch von Jungen und Männer. Das gilt in besonderem Maße auch für Menschen aus der LGBTIQ*-Community. Eudora Ogechukwu, die in Nigerias Hauptstadt Abuja lebt, hat sich deshalb zur Aufgabe gemacht, sich für deren Interessen einzusetzen, und im Besonderen für die von intersexuellen Menschen. Denn diese stellten in der LGBTIQ*-Community (zu der sich neben inter* und trans* Personen vor allen Lesben, Schwule, Bisexuelle und Queers zugehörig fühlen) eine Minderheit innerhalb der ohnehin marginalisierten Minderheit dar, wie Eudora Ogechukwu im Gespräch betont.
„Intersexuelle Menschen wie ich existieren in Nigeria offiziell faktisch gar nicht“
Als intergeschlechtliche Person ist sie selbst immer wieder Diskriminierung und Marginalisierung ausgesetzt. „Intersexuelle Menschen wie ich existieren in Nigeria offiziell faktisch gar nicht“, sagt Eudora Ogechukwu. Denn es gebe weder offizielle Erhebungen und Daten zu dieser Personengruppe, noch würden Intersexuelle in den Lehrplänen der medizinischen Berufe erwähnt. Ärzt*innen, Pflegekräfte oder andere Menschen, die in Gesundheitsdiensten arbeiten, werden in ihren Ausbildungen daher zu keinem Zeitpunkt darauf hingewiesen, dass sie bei ihrer Arbeit einer intergeschlechtlichen Person begegnen könnten, erläutert Eudora Ogechukwu. Die Folge: Wer in einem Krankenhaus Hilfe sucht, wird bereits bei der Anmeldung entweder als männlich oder weiblich kategorisiert. „Unsere Existenz als Intersexuelle wird somit komplett gelöscht.“
Dabei gehen die Vereinten Nationen davon aus, dass bis zu 1,7 % der Bevölkerung mit intergeschlechtlichen Merkmalen zur Welt kommt. Damit dürften allein in Nigeria rund 3,9 Millionen intergeschlechtliche Menschen leben.
Im Rahmen ihrer aktivistischen Arbeit der Silent Voices Initiative, einer ehrenamtlichen Organisation junger LGBTIQ*in Nigeria, will Eudora Ogechukwu deshalb für auch für mehr Sichtbarkeit von intersexuellen Personen sorgen, und zwar nicht nur im eigenen Land, sondern auf dem gesamten Kontinent. „Wir nutzen den Aufbau der Community auch, um andere intersexuelle Personen ausfindig zu machen und letztlich konkrete Zahlen zur Intersex-Community in Nigeria vorlegen zu können.“
Die Silent Voices Initiative versucht, LGBTIQ*-Personen gerade auch in ländlichen und abgelegenen Gegenden zu erreichen, in die Community einzubinden, sie mit grundlegenden Informationen zu versorgen und zu vernetzen.
„Denn Empowerment ist erst möglich, wenn wir die Verbindung zu Organisationen hergestellt haben, die entsprechende Angebote bieten“, sagt Eudora Ogechukwu. Hilfe, Beratung und Unterstützung sind vor allem auch bei Fragen zur mentalen wie körperlichen Gesundheit notwendig.
Dass LGBTIQ* nicht nur in der HIV-Prävention, sondern auch bei anderen Gesundheitsaspekten als „Schlüsselpopulation“ und „vulnerable Gruppe“ bezeichnet werden, erzürnt Ogechukwu. Warum, fragt sie provokativ, sollte unsere Sexualität uns vulnerabel machen, Heterosexuelle jedoch nicht? Ursache sei nicht die Sexualität, sondern seien Gesetze und Richtlinien, und diese gelte es zu ändern. „Es ist die Kriminalisierung gleichgeschlechtlicher Beziehungen, die uns vulnerabel macht. Wir müssen den Kampf gegen die Stigmatisierung und Diskriminierung aufnehmen, die beispielweise aus der Religion und einer heteronormativen Erziehung erwachsen.“
Eudora Ogechukwu spricht damit einen wichtigen Punkt an. Denn die nigerianische Gesellschaft gilt als streng konservativ, die große Mehrheit der Bevölkerung hat eine äußerst negative bis ablehnende Haltung gegenüber LGBTIQ*. Da es in afrikanischen Gesellschaften traditionell stets auch um die Erhaltung von Familieneinheiten und die Einhaltung der kulturell festgelegten Geschlechterrollen geht, stellen queere Menschen diese Normen in Frage.
Seit der ehemalige Staatspräsident Goodluck Jonathan 2014 das Gesetz zum Verbot der gleichgeschlechtlichen Ehe unterzeichnete, hat sich die Lage der queeren Community noch weiter verschlechtert.
Homosexuelle Handlungen können nun mit hohen Haftstrafen von bis zu 14 Jahren geahndet werden. In einigen muslimisch geprägten Bundesstaaten im Norden droht mit den Scharia-Gesetzen sogar die Todesstrafe.
Das Gesetz stellt auch das Eintreten für LGBTIQ* unter Strafe. Damit sind auch Personen gefährdet, die sich für die Rechte von queeren Menschen einsetzen. Immer wieder sorgen Hetzjagden auf Schwule, Lesben und trans* Personen und Razzien bei queeren Partys für Schlagzeilen. Die Stimmung gegen LGBTIQ* wirkt sich auch auf deren Gesundheitsversorgung aus. Denn sie erleben auch durch Ärzt*innen in öffentlichen wie privaten Kliniken und Praxen offene Ablehnung. Aufgrund solcher Erfahrungen sagt Eudora Ogechukwu, würden viele das Gesundheitssystem meiden.
Queere Menschen meiden aus Angst das Gesundheitssystem
„90% der trans* Personen in Nigeria, die ich kennen, behandeln sich selbst, weil sie sich nicht mehr in ein Krankenhaus trauen, um dort Gesundheitsversorgung zu erhalten.“
Sie kaufen sich in der Apotheke die notwendigen Medikamente, aber sie erhalten keine Beratung, keine Untersuchungen und damit keine wirkliche Behandlung. „Sie bringen sich damit in gesundheitlicher Gefahr, aber sie kennen keinen anderen Ausweg“, betont Eudora Ogechukwu. „Dabei sollte doch jeder Mensch, ungeachtet seiner Sexualität, seiner sexuellen Identität und seines Geschlechts das Recht auf unbeschränkten Zugang zu Gesundheitsdiensten haben.
Dies ist nicht nur ein Menschenrecht, es ist sogar ein zentraler Punkt der nigerianischen Verfassung, die allen nigerianischen Bürger*innen gleichberechtigten Zugang zur Gesundheitsversorgung garantiert. Faktisch aber sind Nicht-Heterosexuelle Bürger*innen davon ausgeschlossen.
Insbesondere wenn es um die sexuelle Gesundheit geht, trauen sich queere Menschen nicht mehr in öffentliche Gesundheitszentren, da sie Diskriminierung, Denunziation und sogar Erpressung durch Beschäftigte befürchten müssen. Ein Lichtblick für die queere Community ist das Angebot der
Nichtregierungsorganisation Community Population Health Initiative (CPHI). Ursprünglich gegründet, um HIV-Forschung zu betreiben, hat sich ab 2020 daraus eine unabhängige Klinik entwickelt, die an zwei Standorten – Lagos und Port Harcourt – HIV- und STI-Tests, sexuelle und psychische Gesundheitsberatung sowie Behandlung speziell für sexuelle Minderheiten anbietet. Und zwar kostenlos. Ermöglicht wird dies durch die finanzielle Unterstützung von UNAIDS, PEPFAR und des Global Fund.
Selbst angesichts der Kriminalisierung gleichgeschlechtlicher Lebensweisen hat das CPHI Wege gefunden, weiterhin queere Menschen medizinisch und psychologisch betreuen zu können, ohne von den Behörden verfolgt zu werden. Gleichwohl können in den Einrichtungen des CPHI nur einfache medizinische Behandlungen durchgeführt werden. Für Operationen beispielsweise müssen die Patient*innen an ein Krankenhaus überwiesen werden.
So herausragend und notwendig die Arbeit des CPHI-Teams ist, es kann die Lücken in den Gesundheitsdiensten nicht schließen. Die Kapazitäten sind begrenzt und für eine halbwegs flächendeckende Versorgung müsste es zahlreiche weitere Eirichtungen dieser Art überall im Land geben. Bis zu einer gesundheitlichen Chancengleichheit für alle Menschen ist es daher noch ein weiter Weg. Das Ziel wäre erst dann erreicht, wie Eudora Ogechukwu sagt, „wenn ich Zugang zu grundlegenden Gesundheitsversorgung habe, ohne Angst haben zu müssen, dass ich diskriminiert, stigmatisiert oder gar verhaftet und getötet werde. Wenn intersexuelle Menschen wie ich nicht mehr zu geschlechtsangleichenden Operationen gezwungen werden und Menschen – gleich welches Geschlecht, welche Sexualität oder Identität und egal ob sie in der Stadt oder in einer abgelegenen Region leben – Zugang zur Gesundheitsversorgung erhalten können.“
„Wir dürfen niemanden zurücklassen.“
Eudora Ogechukwu und ihren Mitstreiter*innen bei verschiedenen Organisationen, in denen sie mitarbeitet, ist bewusst, dass es sehr viele kleine Schritte brauchen wird, um dieses Ziel zu erreichen. Und dass es viele Menschen braucht, um daran mitzuwirken.
„Als ich 2020 dem Global Fund Youth Council beitrat, war ich in dieser Hinsicht noch recht unerfahren“, gibt sie offen zu. „Ich wusste wenig über die Arbeit oder die Strukturen des Global Fund. Aber diese Arbeit hat mich auf ganz persönlicher wie auf professioneller Ebene weiterentwickeln lassen“. Eine wichtige Message, habe sie dadurch fest verinnerlicht: „Wir dürfen niemanden zurücklassen. Diesem Credo fühle ich mich verpflichte und ihm folge ich in meiner aktivistischen Arbeit.“ Und diese umfasst gleich eine ganze Reihe von Organisationen, darunter das African Network of Adoleszenz and Young People Development (ANAYPD), die Women Health and Equal Right Initiative (WHER) und das International Centre for Advocacy on Right to Health (ICARH).
Erst durch die Arbeit in den Gremien des Global Fund sei ihr bewusst, wie mächtig und einflussreich ihre Stimme sein kann, und diese Kraft will sie nutzen. „Zugleich hat mir der Global Fund Werkzeuge in die Hand gegeben, um für meine Community Veränderungen zu erwirken und mich für unser eigenen Rechte einzusetzen“. Das heißt beispielsweise konkret: bei der Anmeldung bei einem Krankenhaus darauf hinzuwirken, dass beim Geschlechtseintrag in der Krankenakte die Intersexualität vermerkt wurde.
Dieses Empowerment will Eudora Ogechukwu weitergeben und sie habe bereits viele andere in ihrer Community ermutigen können, Ungerechtigkeiten nicht unwidersprochen zu erdulden und hinzunehmen. „Jeder Einzelne kann Teil der Veränderung sein und wir müssen unsere Kräfte bündeln und gemeinsam mit dem Global Fund jegliche Ungleichheiten bekämpfen.“
Text: Axel Schock
Interview: Priyanka Ayer, Global Fund Advocates Network und Peter Wiessner, Aktionsbündnis gegen AIDS
Fotos: Alexej Stoljarov, Eudora Ogechukwu und Peter Wiessner
Oktober 2024
Im Anhang der Text in Deutsch und Englisch mit zahlreichen weiteren Fotos