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Priscilla Ama Addo aus Ghana

Jeder Mensch hat das Recht auf gesundheitliche Chancengleichheit

Pricilla Ama Addo - Foto: P. Wiessner

Die Rolle des Globalen Fonds bei der Verwirklichung der gesundheitlichen Chancengleichheit: Die Gesundheitsversorgung ist in Ghana zunehmend in Gefahr – das gilt in besonderem Maße auch für Menschen mit HIV. Verantwortlich dafür ist die Regierung, sagt Priscilla Ama Addo. Ein neues Gesetz, das sich gegen die LGBTIQ*-Community richtet, droht die Situation noch zu verstärken, wie die junge Aktivistin in einem Interview für das Aktionsbündnis gegen AIDS deutlich macht. Herzlichen Dank an Axel Schock für den einfühlsamen Text. Das Video und die Texte mit weiteren Fotos von Priscilla stehen unten in Deutsch und Englisch zum Download bereit.

Dass lebenswichtige Arzneimittel knapp werden, das haben Menschen mit HIV in Ghana in den zurückliegenden Jahren immer wieder erleben müssen. Auch im März 2024 war es mal wieder soweit und HIV-Gesundheitseinrichtungen warteten vergeblich auf Nachlieferungen. Patient*innen reduzierten verzweifelt ihre Medikamentendosis oder teilten ihre Vorräte mit anderen. Denn eine Therapieunterbrechung kann beispielsweise zu einer gefährlichen Resistenzbildung führen. Dabei war die Ursache für diesen Engpass selbstverschuldet: Die Bürokratie Ghanas in der Gesundheitsversorgung ist derart kompliziert und aufwendig, dass importierte Medikamente wochenlang am Hafen festhingen.

Die Situation hat sich zwar wieder entspannt, Priscilla Ama Addo ist jedoch immer noch empört. Vor allem aber ist für die Aktivistin dieser Vorfall symptomatisch. „Unsere Regierung ist eben nicht selbst von HIV betroffen, deshalb interessiert sie sich auch nicht für die Belange von Menschen mit HIV“, sagt Addo die am Ghana Institute of Journalism Öffentlichkeitsarbeit studierte.

Die HIV-Prävalenzrate bei Frauen ist doppelt so hoch wie bei Männern

„Die Verantwortlichen scheinen nicht zu verstehen, wie wichtig die Medikamente für die Betroffenen sind, und wie gefährlich eine Therapie-Unterbrechung ist“, sagt Priscilla Ama Addo, die selbst HIV-positiv ist. „Deshalb müssen wir uns Gehör verschaffen und notfalls auch auf die Straße gehen.“

Sie ist nicht nur kämpferisch, sondern auch tatkräftig. Addo engagiert sich bereits mit großer Leidenschaft für die Belange junger Frauen bzw. von jungen Menschen mit HIV in Ghana – unter anderem als Mitarbeiterin bei Hope for Future Generations, einer communitybasierten Nichtregierungsorganisation, die sich für die Bedürfnisse von Frauen, Kindern und Mädchen im Land einsetzt. Sie ist zudem auch Präsidentin von Young Health Advocates Ghana, eines von Jugendlichen geführten Netzwerks für junge Menschen mit HIV/Aids mit landesweit über 700 Mitgliedern.

Zwar konnte die HIV-Infektionsrate im Land von bis zu 30 Prozent in den 1980er Jahren auf aktuell rund 7 Prozent gesenkt werden. Doch das UN-Ziel, Aids bis 2030 zu beenden, steht noch in weiter Ferne. Die aktuellen Zahlen offenbaren zudem markante Ungleichheiten: So liegt die HIV-Prävalenzrate bei Frauen mit 2,0 doppelt so hoch wie bei Männern. Und nur rund 22% der Menschen unter 24 verfügen laut einer Studie über ausreichend Informationen zu HIV.

Ungleichheiten gibt es allerdings auch in der Versorgung von Menschen mit HIV, wie Priscilla Ama Addo im Gespräch erläutert.

Die für eine HIV-Therapie notwendigen Labortests etwa würden nur für bestimmte Personengruppen subventioniert. Insbesondere junge Menschen könnten sich deshalb nicht alle Laboruntersuchungen leisten. „Dieses Problem betrifft nicht allein Menschen mit HIV, sondern auch andere Patient*innen“, sagt Addo. „Wenn jedoch Menschen auf ein Medikament verzichten müssen, weil sie es schlicht nicht bezahlen können, verstößt dies gegen die Menschenrechte.“ Denn jeder Mensch habe das Recht auf gesundheitliche Chancengleichheit, wie Addo deutlich macht. Und dies bedeute, dass alle eine erstklassige medizinische Versorgung erhalten – ungeachtet ihrer finanziellen Situation, ihrer sexuellen Orientierung, ihres Geschlechts, ihrer politischen oder religiösen Überzeugungen oder in welcher Region sie leben.

Ein neues Anti-Homosexuellen-Gesetz bedroht auch die Gesundheitsversorgung

Die sexuelle Orientierung erwähnt Priscilla Ama Addo nicht von ungefähr. Denn durch ein vom ghanaischen Parlament im Februar 2024 beschlossenes Anti-LGBTIQ*-Gesetz, drohen queeren Menschen künftig noch härtere Haftstrafen als bisher. Wer sich zur LGBTIQ*-Community zählt bzw. Sex mit Personen des gleichen Geschlechts hat, kann mit drei Jahren Gefängnis bestraft werden. Und wer sich öffentlich für die Belange der Community einsetzt, kann sogar zu zehn Jahren Freiheitsentzug verurteilt werden. Konkret zielt das Gesetz darauf ab, jegliche Förderung von Bildungs-, Gesundheits- und Rechtsleistungen unter Strafe zu stellen, die LGBTIQ*-Personen bei der Bewältigung der gesundheitlichen und sozialen Folgen von Stigmatisierung, Diskriminierung und Gewalt unterstützen – also alle Organisationen, die sich für die Rechte queerer Menschen einsetzen oder Gesundheitsdienste anbieten.

„Damit sind nun auch unsere jahrelangen Bemühungen, diesen Menschen Prävention und Gesundheitsversorgung frei von Stigmatisierung und Diskriminierungen zukommen zu lassen, gefährdet“, schildert Addo die Auswirkungen der neuen Rechtslage. Auch queere Menschen haben ein Recht auf Gesundheit, doch das werde mit dem Gesetz massiv verletzt.

Zwar muss dieses erst noch von Präsident Nana Akufo-Addo ratifiziert werden, es ist aber zu erwarten, dass dies nach den Wahlen im Dezember auch geschieht. Die Situation der queeren Community hat sich aber schon jetzt dramatisch verschlechtert. Immer wieder gibt es Razzien in Lokalen und Einrichtungen. Aktivist*innen werden verhaftet und Angst macht sich breit. Manche LGBTIQ*-Personen werden selbst durch die eigene Familie geoutet, verstoßen und öffentlich gebrandmarkt, erzählt Addo. „Sie müssen nun im wahrsten Sinne des Wortes um ihr Leben fürchten. Durch das neue Gesetz genügt bereits eine unbewiesene Beschuldigung, um eine Existenz zu zerstören.“

Verschärfte Strafverfolgung und Pogromstimmung

Die verschärfte Strafverfolgung und Pogromstimmung insbesondere gegen schwule Männer machen jedoch auch die Prävention für diese Gruppe so gut wie unmöglich.

Insbesondere viele junge queere Menschen und nicht zuletzt auch Menschen mit HIV trauen sich nicht mehr, Gesundheitseinrichtungen aufzusuchen. „Die Angst vor einem Outing ist zu groß“, sagt Addo. Das Gesetze sieht zudem vor, der LGBTIQ*-Community Gesundheitsleistungen, darunter auch HIV-Medikamente, prinzipiell zu verwehren.

Die internationalen Proteste gegen das Gesetzesvorhaben sind weitgehend verhallt. Auch Winnie Byanyima, Exekutivdirektorin des Gemeinsamen Programms der Vereinten Nationen für HIV/Aids (UNAIDS) hat auf die weitreichenden Auswirkungen hingewiesen. Nicht zuletzt würde das Gesetz auch den Kampf gegen Aids behindern: "Wenn es in Kraft tritt, wird es den Zugang zu lebensrettenden Angeboten beschränken, den sozialen Schutz beschneiden und Ghanas Entwicklungserfolg gefährden."

Ghana ist in dieser Hinsicht kein Einzelfall. In Byanyimas Heimatland Uganda trat 2023 ein neues, drakonisches Anti-Homosexulen-Gesetz in Kraft.

Für "schwere Homosexualität" droht dort sogar die Todesstrafe. Personen oder Gruppen, die sich für homosexuelle Personen einsetzen, können mit bis zu 20 Jahren Haft bestraft werden.

Nahezu die Hälfte aller Länder, in denen Homosexualität gesetzlich verfolgt wird, befindet sich in Afrika, so eine globale Erhebung der International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (ILGA). Laut Bericht des weltweiten Dachverbands von LGBTIQ*-Organisationen sind gleichgeschlechtliche Beziehungen lediglich in 23 von 54 afrikanischen Staaten legal. In den meisten afrikanischen Ländern gehen Gesetze gegen LGBTIQ*-Rechte auf die Kolonialzeit zurück. Sie haben damit bereits über zwei Jahrhunderte die feindselige Haltung der Gesellschaft gegenüber sexuellen Minderheiten geprägt, sodass diese über viele Generationen hinweg als kriminell gebrandmarkt wurden.

Häufig wurden diese Gesetze nicht geändert, nachdem die Länder ihre Unabhängigkeit errangen. Vielmehr haben christliche Fundamentalisten und Evangelikale die homosexuellenfeindliche Haltung in der Gesellschaft noch verstärkt. Vielerorts spielt die Lobbyarbeit rechter US-Kirchen eine nicht unwesentliche Rolle.

„Wenn diese Gesetze und Maßnahmen bestehen bleiben, wird dadurch das Leben von queeren Menschen aufs Spiel gesetzt, weil für sie lebensrettende Behandlungen und Dienste nicht mehr erreichbar sind“, mahnt Priscilla Ama Addo.

Bestimmte Bevölkerungsgruppen davon auszuschließen, verletzt nicht nur deren Recht auf Zugang zur Gesundheitsfürsorge, sondern ist nicht zuletzt kontraproduktiv für die Gesamtgesellschaft.

Communitybasierte Projekte als Schlüssel der HIV-Bekämpfung

Dass Ghana in den letzten Jahrzehnten die Zahl der HIV-Infektionen so deutlich senken konnte, ist in entscheidendem Maße durch den Aufbau und die Sicherung von Gesundheitsdiensten und damit verbunden die Versorgung von HIV-Patient*innen zurückzuführen. Ermöglicht wurde diese nachhaltige strukturelle Verbesserung auch mit Mitteln des Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria. Gerade in den ländlichen Gegenden haben dadurch mehr Menschen überhaupt Zugang zur Therapie erhalten. Genauso wichtig: Es ist sichergestellt, dass die notwendigen Medikamente das ganze Jahr über immer verfügbar sind, und zwar kostenfrei. „Auch ich persönlich und viele meiner Freund*innen profitieren davon“, sagt Priscilla Ama Addo. „Diese Erfolge zeigen: die Arbeit des Globalen Fonds ist erfolgreich und funktioniert. Jeder Euro, jeder Dollar ist gut investiert und rettet Leben.“

Schlüsselelement der Partnerschaft in der Zusammenarbeit lokaler und regionaler Organisationen mit dem Globalen Fonds ist der sogenannte „Country Coordinating Mechanism“. Gemeint sind damit nationale Ausschüsse, die die Finanzierungsanträge beim Globalen Fonds einreichen und die Zuschüsse im Namen ihrer Länder überwachen. Addo hat bereits viele eigene Erfahrungen mit Ghanas nationalem Ausschuss gemacht.  Sie ist von diesem Verfahren überzeugt: „Es ermöglicht den Communitys, sich direkt an Maßnahmen zur HIV-Bekämpfung einzubringen und diese auch zu leiten.“

Für die Zukunft wünscht sie sich, dass noch mehr junge Menschen solche Leitungsfunktionen übernehmen. Das Ziel, Aids tatsächlich als Bedrohung der öffentlichen Gesundheit bis 2030 zu beenden, wird nicht ohne sie gehen, ist sich Addo sicher.

„Wir müssen erkennen, das junge Menschen die notwendige Stärke und Kraft haben, solche Führungsrollen einzunehmen und damit eine Veränderung herbeiführen können. Wir müssen ihnen jedoch die Möglichkeiten dazu eröffnen.“

Text Axel Schock 

Interview: Priyanka Ayer, Global Fund Advocates Network und Peter Wiessner, Aktionsbündnis gegen AIDS

Oktober 2024 

Aktionsbündnis gegen AIDS, 2024