Zukunftsgipfel der Vereinten Nationen
Minimalkonsens verabschiedet. Gesundheitshemen unberücksichtigt
Im Rahmen der Generalversammlung der Vereinten Nationen UN (UN) fand vom 22.-23. September in New York der durch Deutschland und Namibia vorbereitetet Zukunftsgipfel (Summit of the Future) statt. Erklärtes Ziel der Summits war die Verabschiedung eines Zukunftspaktes, in dem ein gemeinsames Vorgehen zu bestehende Herausforderungen, einhergehend mit Entwicklungsfinanzierung, Frieden und Sicherheit, Technologie, Innovation und digitale Zusammenarbeit, Jugend und zukünftige Generationen, sowie die Umgestaltung der Globalen Governance, verabschiedet wird. Im Vorfeld des Summits fanden - ebenfalls bei den UN - Aktionstage statt, die der globalen Zivilgesellschaft die Möglichkeit gab, auf ihre Sichtweise und weniger berücksichtigte Problemlagen aufmerksam zu machen. Themen der globalen Gesundheit blieben beim Zukunftsgipfel unberücksichtigt. Das Konzept „Health in all Policies“, das fordert Gesundheitsthemen in allen Politikbereichen mitzudenken, scheint auf der Ebene der UN noch nicht angekommen zu sein. Bedauerlich eigentlich: zur Erreichung der gesundheitsbezogenen nachhaltigen Entwicklungsziele bis 2030 (SDGs) hätte der Gipfel durchaus Akzente setzen können. Peter Wiessner war für das Aktionsbündnis gegen AIDS vor Ort und berichtet aus seinem Blickwinkel.
Der Zukunftsgipfel wurde in 2021 von UN-Generalsekretär António Guterres angeregt. Durch den Gipfel sollten Fortschritte bei den nachhaltigen Entwicklungszielen und den globalen Herausforderungen, wie Klimawandel, die Steuerung technologischer Neuerungen (IA) und globaler Sicherheit erzielt werden. Im Vorfeld wurde ein Konsultationsprozess mit einigen virtuellen Treffen organisiert, die jedoch den Eindruck hinterließen, dass es hier nur darum ging ein Häkchen im Feld „zivilgesellschaftliche Einbindung“ setzen zu können. Da die Arbeit an den Texten hinter verschlossenen Türen zwischen Diplomat*innen involvierter Staaten stattfindet, ist nicht nachvollziehbar, inwieweit Argumente der Zivilgesellschaft im Abschlusstext aufgenommen wurden. Der Bitte, globale Gesundheitsthemen aufzugreifen, wurde jedenfalls nicht entsprochen. Auch fällt auf, dass nur bestimmte vulnerable Gruppen und deren Rechtsansprüche genannt werden. So werden behinderte Menschen im Abschluss Dokument mehr als zehn Mal erwähnt, was Rückschluss auf die überaus erfolgreiche politische Arbeit der Behindertenbewegung zulässt. Andere Gruppen, die ebenfalls um Anerkennung, gegen Diskriminierung gerichtete Maßnahmen und um Rechtssicherheit kämpfen, werden im Dokument noch nicht einmal erwähnt: Schwule, Lesben, andere LGBTIQ-Communities, Sexarbeiter*innen, Drogengebrauchende etc. In der diplomatischen Aushandlung des Textes konnte hier offensichtlich kein Konsens gefunden werden. Durchgesetzt haben sich Staaten, die sich gegen die Benennung der Gruppen aussprechen und sich mit Themen wie bspw. Geschlechtsidentität und geschlechtsspezifische Gewalt nicht auseinandersetzen möchten. Auch mangelt es im gesamten Dokument an deutlichen Bezügen zu den Menschenrechten.
Aktionstage und Einbindung der Zivilgesellschaft
Der mangelnde Wille die Zivilgesellschaft einzubinden, muss hier leider auch der Bundesregierung unterstellt werden. Wir hatten mehrere Male um die Einrichtung einer deutschen Delegation sowohl beim Zukunftsgipfel als auch dem darauffolgenden Treffen der UN zu mikrobiellen Resistenzen (UN HLM AMR) gebeten: Leider erfolglos! In den vergangenen Jahren gab es entsprechende Delegationen, an der dann immer auch Vertreter*innen der Zivilgesellschaft teilnahmen und diese die Möglichkeit gab, direkt an dem Treffen teilzunehmen.
In den zwei Tagen vor dem Zukunftsgipfel wurde, ebenfalls bei den UN, Aktionstage mit ganztägigen Diskussionen organisiert. Behandelt und aus zivilgesellschaftlicher Perspektive diskutiert wurden Themen des Zukunftsgipfels. Beeindruckend war die hohe Einbindung von Vertreter*innen der Jugend auf den Panels. Das Prinzip „nothing about us without us“ wurde hier gut umgesetzt: Jugendliche können eloquent und gut für sich selbst sprechen. Der Einsatz von Expert*innen, um uns die Weltsicht und Problemlagen Jugendlicher zu erklären, ist nicht immer hilfreich und notwendig.
Besonders interessant bei den Aktionstagen waren die Diskussionen zur Notwendigkeit der Reform des UN-Sicherheitsrats, der in seiner heutigen Form - auch aufgrund der Möglichkeit des Einspruchs der Vetomächte und der mangelnden Repräsentanz der Staatengemeinschaft - offensichtlich nicht mehr funktioniert. Als Ergebnis des zweiten Weltkriegs spiegelt der Sicherheitsrat die damalige geopolitische Situation und den Willen der Siegermächte wider.
Multilateralismus in Gefahr
Am Beispiel Afrikas wird deutlich, wie wenig die derzeitige Komposition des Sicherheitsrats der heutigen Situation entspricht: als der Rat am 24. Oktober 1945 gegründet wurde, gab es nur vier unabhängige afrikanische Staaten: Ägypten, Äthiopien, Liberia, Südafrika alle anderen Länder Afrikas standen unter Kolonialherrschaft. Heute sind 54 afrikanische Länder bei den UN vertreten, sie bilden eine der fünf regionalen Gruppen innerhalb der UN. Um die Autorität der UN und die Idee des Multilateralismus nicht noch weiter zu untergraben, muss der Sicherheitsrat die derzeitige Realität widerspiegeln.
Zu Beginn des Gipfels war nicht klar, ob das Dokument einstimmig verabschiedet wird. Die „Silence Procedure“, demnach Schweigen Zustimmung bedeutet, wurde mehrere Male gebrochen – bis kurz vor Verabschiedung. Ein ganzes Jahr Verhandlung reichte offensichtlich nicht zur Erreichung des Minimalkonsenses aus. Ein Scheitern des Zukunftspaktes hätte eine ernste Krise der UN-Institutionen herbeigeführt. Russland drohte noch am Abend vor dem Gipfel, dem Text die Zustimmung zu verweigern.
In den ersten Minuten kam es zu einem Eklat. Der diplomatische Vertreter Russlands verlangte eine Ergänzung des Abschlussdokuments: Russland verlangte darin, dass die UN nicht in Angelegenheiten eingreifen werden, die ihrem Wesentlichen nach in die innere Zuständigkeit eines Staates fallen. Zudem wir der Generalsekretär zur Evaluation der UN, ihrer Fonds und Programme aufgefordert – auch um eine Doppelarbeit, die durch die Annahme des Pakts entstehen könnte zu verhindern. Zur 80. Tagung der Generalversammlung in 2025 sollten, so Russland, Vorschläge zur Vermeidung solcher Doppelarbeit bei gleichzeitiger Erzielung eines Höchstmaßes an Ressourceneffizienz vorgelegt werden.
Die vorgeschlagenen Ergänzungen hätten den erreichten Minimalkonsens zunichte gemacht. Russland scheint es vor allem darum zu gehen die UN und die Idee des Multilateralismus zu diskreditieren. Im letzten Moment Ergänzungsvorschläge einzureichen, ist, nach beinahe einem Jahr Verhandlung, eine Missachtung und Beleidigung aller, die in den Prozess involviert waren.
Die Vermeidung der „Doppelarbeit“ bzw. „Doppelstrukturen“ zielt auf die Verwendung menschenrechtsbasierter Ansätze und Strukturen: auch bei den Programm Koordinationstreffen von UNAIDS (UNAIDS PCB) verwehrt sich Russland gegenüber der Erwähnung menschenrechtlicher Prinzipien in den Dokumenten von UNAIDS. Russland behauptet, dass Menschenrecht alleine in das Hautmandat der Hochkommissarin der UN für Menschenrechte (Office of the High Commissioner for Human Rights, OHCHR) als zentrale UN-Organisation zum Schutz und die Förderung der Menschenrechte, falle.
Bundeskanzler Olaf Scholz ging in seiner Begrüßungsrede zur Eröffnung des Summits auf die Provokationen Russlands nicht ein.
Bericht der UN-Sonderberichterstatterin zur Menschenrechtssituation in Russland
Der überaus hörenswerte Bericht der UN Sonderberichterstatterin Mariana Katzarova zur derzeitigen Menschenrechtssituation in Russland, vorgetragen während einer Pressekonferenz am 23. September, verdeutlicht eindrücklich, warum Russland gerne jegliche Referenz zu Menschenrecht vermeidet: https://kurzlinks.de/gdtl
Es war die Demokratische Republik Kongo, die, in Vertretung der Gruppe afrikanischer Staaten den Änderungsvorschlag Russlands ablehnte und einen Antrag auf Nichtbehandlung des russischen Antrags einbrachte. Für Russland brachte die Abstimmung eine herbe Niederlage: Nur sieben Staaten signalisierte ihre Unterstützung für Russland, 15 Staaten enthielten sich, 143 Staaten stimmten dagegen. Die Abstimmung lässt sich als Landkarte geopolitischer Aufsplittung und Abhängigkeit lesen. Unterstützung findet der Vorschlag lediglich durch Russlands Vasallenstaaten Belarus, Nordkorea, Iran, Syrien, Sudan und Nicaragua. Aber auch die Liste der sich enthaltenden Saaten verweist auf Abhängigkeitsverhältnisse: Algerien, Bolivien, China, Kuba, Irak, Kasachstan, Kiribati, Laos, Malaysia, Malediven, Oman, Pakistan, Saudi-Arabien, Sri Lanka und Thailand.
Nachdem der Änderungsvorschlag Russlands so eindrücklich abgeschmettert wurde, wurde der Zukunftspakt, so wie vorgelegt, einstimmig - also auch mit der Stimme Russlands - verabschiedet. Es folgte eine zweitägige Aussprache über die Inhalte.
Ob der Zukunftsgipfel die intendierte Wirkung entfaltet, wird sich in den kommenden Jahren zeigen.
Vordergründig erscheint es bereits als ein Erfolg, dass überhaupt eine Erklärung verabschiedet werden konnte. Es handelt sich, wieder einmal, um einen Minimalkonsens: neben den bereits erwähnten fehlenden Elementen mangelt es vor allem auch an finanziellen Zusagen, der Beschreibung von Zwischenschritten und der klaren Verteilung von Zuständigkeiten.
Peter Wiessner
Oktober 2024