Erfahrungsbericht
Was für eine Woche! Eindrücke von der 25. Welt AIDS Konferenz in München
In der Woche vom 22. bis 26. Juli 2024 versammelten sich in München mehr als 10.000 Teilnehmer*innen aus der ganzen Welt zur 25. Welt AIDS-Konferenz in München, darunter viele HIV-Aktivist*innen und Vertreter*innen der Zivilgesellschaft. Das Motto der Konferenz lautete "put people first", ein gut gewählter Slogan, der uns an die menschliche Perspektive der HIV-Arbeit erinnert: Menschen sollten im Mittelpunkt aller Bemühungen zur Beendigung von Aids stehen. Das Motto erinnert auch daran, dass das nicht immer gewährleistet ist. Die Konferenz wird im zweijährigen Abstand von der International AIDS Society (IAS) ausgerichtet. Die höchsten Repräsentant*innen aus Deutschland waren Bundeskanzler Olaf Scholz, der während der Eröffnungsveranstaltung eine ermutigende Rede hielt und die parlamentarische Staatssekretärin des Bundesgesundheitsministeriums Dr. Sabine Dittmar. Mitarbeiter*innen des Aktionsbündnis gegeben AIDS waren zugegen. Peter Wiessner fasst hier seine persönlichen Eindrücke zusammen.
"Jede Minute stirbt ein Mensch an Aids. Jede Minute ein Mensch! Daran müssen wir etwas ändern. Unser gemeinsames Ziel ist es, die Aids-Epidemie bis 2030 zu beenden. Wir machen zwar Fortschritte, aber es liegt noch ein weiter Weg vor uns. Deshalb arbeiten wir weiter - gemeinsam und weltweit. Als einer der größten Geber steuert Deutschland im laufenden Zyklus 1,3 Milliarden Euro zum Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria bei. Und wir werden ihn weiter unterstützen. (...) Wir unterstützen auch UNAIDS und die Weltgesundheitsorganisation und werden weiterhin ein verlässlicher Partner sein."
(Bundeskanzler Olaf Scholz bei der Eröffnung der Konferenz)
Im Vorfeld der eigentlichen Konferenz fand eine Reihe von Vorkonferenzen zu verschiedenen Themen statt, die u. a. vom Global Network of People living with HIV (GNP+) organisiert wurden. Themen waren u.a.: PrEP (Präexpositionsprophylaxe), community-basiertes Monitoring, Heilung, Impfstoffforschung, die Inklusion von Dienst- und Serviceleistungen, die Rolle glaubensbasierter Organisationen und das Thema „Älter werden mit HIV“.
UNAIDS-Bericht: "Die Dringlichkeit des Jetzt: AIDS am Scheideweg"
Unmittelbar vor der Konferenz stellte UNAIDS auf einer Pressekonferenz seinen neuen Bericht über die globale HIV-Pandemie vor: "The Urgency of Now: Aids am Scheideweg". Das Aktionsbündnis gegen AIDS war eingeladen, die Pressekonferenz zu moderieren. Der UNAIDS-Bericht hebt bedeutende Erfolge wie den Rückgang der HIV-Neuinfektionen und den verbesserten Zugang zur Behandlung hervor, warnt aber auch vor den anhaltenden Herausforderungen, die den Fortschritt zunichtemachen könnten. Zu den wichtigsten Problemen gehören Finanzierungslücken, Stigmatisierung, Diskriminierung und Ungleichheiten beim Zugang zur Gesundheitsversorgung. UNAIDS fordert sofortige, verstärkte Anstrengungen und ein nachhaltiges politisches Engagement, um die Aids-Epidemie bis 2030 zu beenden. Unterstrichen werden die Relevanz und Notwendigkeit innovativer Ansätze, inklusiver Strategien und einer soliden, nachhaltigen internationalen Zusammenarbeit. Erfolg oder Misserfolg werden davon abhängen, welchen Weg die Verantwortlichen einschlagen.
Neue Daten zur globalen HIV-Epidemie aus 2023
Winnie Byanyima, UNAIDS-Exekutivdirektorin, stellte die neuen Daten für 2023 vor: 39,9 Mio. Menschen leben mit HIV (PLHIV), 1,3 Mio. haben sich neu infiziert, 630.000 starben an HIV-bedingten Krankheiten und 30,7 Mio. hatten Zugang zu einer lebensrettenden HIV-Behandlung (was bedeutet, dass ¼ aller PLHIV immer noch keinen Zugang haben). Die Daten zeigen große Unterschiede zwischen Erwachsenen und Kindern: 77 % der über 15-Jährigen, aber nur 57 % der Kinder bis 14 Jahre hatten Zugang zu lebensrettenden HIV-Therapien. Global gibt es 5,4 Mio. Menschen mit HIV, die nichts über ihren HIV-Status wissen.
Es ist hier wichtig, festzuhalten, dass Behandlung eine wichtige Säule der Prävention ist: Menschen mit einer erfolgreichen HIV-Therapie und einer nicht nachweisbaren Viruslast können das Virus nicht übertragen. Der Slogan, der in der weltweiten HIV-Community verwendet wird, lautet U=U (nicht nachweisbar ist gleich nicht übertragbar).
Eine der Hauptursachen für Stigmatisierung und Diskriminierung bezieht sich auf die potenzielle Übertragbarkeit des Virus: Wir wissen, dass Menschen mit HIV unter HIV-Therapie, bzw. mit Zugang dazu, ein gesundes Leben führen und keine Gefahr für andere darstellen. Das Gleiche gilt für Menschen, die Zugang zu Präventionsmaßnahmen und Präventionsinstrumenten wie PrEP haben. Die Informationen von UNAIDS sind wichtig für die Erstellung maßgeschneiderter HIV-Programme, da fast jedes Land und jede Region seine eigene HIV-Epidemie hat, abhängig von den Übertragungswegen, den Unterschieden zwischen den Schlüsselgruppen und dem (oft fehlendem) politischem Engagement.
"Wir müssen die Diskriminierung von Mädchen und Frauen, die die Aids-Pandemie insbesondere in Afrika vorantreibt, beenden. 3 von 4 neu infizierten jungen Menschen (im Alter von 15-24) sind Mädchen, einer ist ein Junge. Hier liegt eine Ungerechtigkeit vor. Wir müssen uns mit der Vulnerabilität von Mädchen und jungen Frauen auseinandersetzen".
Winnie Byanyima, UNAIDS-Exekutivdirektorin
In Russland und der osteuropäischen Region sind alarmierende Trends zu beobachten. Michel Kazatchkine, zwischen 2007 bis 2012 Exekutivdirektor des Globalen Fonds, berichtet in einer Pressekonferenz, dass in der Region die Zahl der Menschen mit HIV seit 2010 um 40-50 % gestiegen sei. 2,1 Millionen PLHIV leben derzeit in der Region, eine der sich am schnellsten entwickelnden Epidemien weltweit. Grund dafür sei das Fehlen eines echten politischen Engagements: nur etwa 50 % der Mensch mit HIV haben Zugang zu einer HIV-Behandlung. Eine der schlechtesten Raten weltweit! 92 % aller Neuinfektionen finden innerhalb der Schlüsselgruppen statt, insbesondere unter Drogenkonsument*innen und schwulen Männern, deren Peers und Sexpartner*innen. Das ist eine dramatische Entwicklung, die durch mangelndes politisches Engagement, diskriminierende Gesetze, begrenzte Finanzmittel und zurückgehende Möglichkeiten für zivilgesellschaftliches Engagement verursacht ist und weiter verstärkt wird. Michel Kazatchkine betont, dass exakte Informationen aus Russland derzeit schwer zu erhalten sind: Schwankungen in den jährlich weitergegebenen Angaben zu Neuinfektionen belegen, dass die Statistiken geschönt werden. Besonders dramatisch ist, dass Russland seine HIV-Programme nicht an den Bedarfen der Gruppen ausrichtet, die am stärksten betroffen sind und zivilgesellschaftliches Engagement durch eine feindliche Gesetzgebung beinahe unmöglich macht.
Gute Zusammenarbeit am Deutschen Pavillon
Deutschland war in der Ausstellungshalle mit einem Deutschen Pavillon vertreten, der in enger Zusammenarbeit zwischen dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, dem Bundesministerium für Gesundheit, der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) und Vertretern verschiedener deutscher Nichtregierungsorganisationen, wie der Deutschen Aidshilfe (DAH) und dem Aktionsbündnis gegen AIDS, organisiert wurde. Wir schätzten die gute Zusammenarbeit bei der Vorbereitung der Aktivitäten im Pavillon. Der Prozess selbst ist ein gutes Beispiel dafür, dass in Deutschland die Einbindung der Zivilgesellschaft wertgeschätzt und ernst genommen wird. In Zeiten zurückgehender Möglichkeiten zivilgesellschaftlichen Engagements (shrinking spaces) würde man sich wünschen, dass diese Bestrebungen auf weitere Politikbereiche ausgeweitet werden und andere Länder diesem Weg folgen. Der gut gestaltete Pavillon ermöglichte viele lebendige Diskussionen. Zu den behandelten Themen gehörten u.a. die BACKUP-Initiative der GIZ, die Braking Down Barriers Initiative des Globalen Fonds, eine Diskussion zu Zugang zu Tuberkulose- und HIV-Diagnostik mit Ärzte ohne Grenzen (MSF), das UNAIDS Update, sowie die Gesundheitsbedürfnisse von Sexarbeiter*innen, eine Diskussion, die von der DAH organisiert wurde. Es war ermutigend zu sehen, dass alle Diskussionen Stimmen von Mitgliedern der Communities aus dem Globalen Süden einschlossen. Das Prinzip "nothing about us, without us“ wurde umgesetzt.
Injectables: Wendepunkt der globalen HIV-Arbeit?
Eines der Highlights der Konferenz waren die Ergebnisse einer Studie, die im New England Journal of Medicine veröffentlicht wurde: Ergebnis der Studie ist, dass zwei Injektionen von Lenacapavir innerhalb eines Jahres eine HIV-Infektion wirksam verhindern, was ein anderer Ansatz als eine Impfung ist, aber dem doch sehr nahekommt. Die Studie wurde in Südafrika und Uganda mit mehr als 5.000 HIV-negativen Teilnehmern durchgeführt. Keiner der 2.134 Teilnehmer, die Lenacapavir erhielten, infizierte sich mit HIV. Winnie Byanyima bezeichnete das Medikament bei der Eröffnungszeremonie der Konferenz als für die Prävention wunderbar und als "Wendepunkt" in der weltweiten HIV-Arbeit.
Byanyima forderte das Pharmaunternehmen Gilead auf, das Medikament allgemein zugänglich und erschwinglich zu machen. Dies insbesondere für Länder in Asien, Lateinamerika und Afrika. Gilead besitzt die Rechte des Medikaments und verlangt 42.000 US-Dollar pro Jahr für die Behandlung. Das Medikament würde denjenigen, die nicht in der Lage sind, Kondome zu benutzen oder aufgrund von Stigmatisierung und Diskriminierung nicht regelmäßig Pillen einnehmen können, ein geeignetes Mittel an die Hand geben, um sich vor HIV zu schützen. Angesichts der Infektionszahlen von Mädchen und jungen Fragen im südlichen Afrika ist dies sehr verständlich. Dies wird aber nur möglich sein, wenn Gilead mit dem Medicines Patent Pool zusammenarbeitet und wenn der Preis sinkt.
Die Produktionskosten des Medikaments liegen bei etwa 40 € für einen Jahresvorrat, wie Dr. Andrew Hill, Universität Liverpool, auf der Konferenz darlegte. Dieser Fall zeigt einmal mehr, wie wichtig Transparenz bei der Preisgestaltung von Arzneimitteln ist. Es ist nicht das erste Mal, dass Gilead seine Macht ausnutzt und ungerechtfertigte Preise verlangt. Dasselbe geschah mit dem Hepatitis-C-Medikament Sofosbuvir. Die Gewinninteressen der Industrie und deren Aktionär*innen zählen mehr als das Menschenrecht auf Gesundheit.
Ich hatte während einer Pressekonferenz die Gelegenheit, Jared Baeten, dem anwesenden führenden Vertreter von Gilead, einige "schwierige" Fragen zu stellen, die sich auf den genauen Preis des Medikaments und die Liste der Länder bezogen, die für freiwillige Lizenzvereinbarungen in Frage kommen und ob bereits Verhandlungen mit dem Medicines Patent Pool geführt würden? Die Fragen hätte ich mir sparen können: der Vertreter von Gilead verweigerte eine Antwort und reagierte mit Ausflüchten
Gilead war nicht ohne Grund während der gesamten Konferenz das Ziel der Proteste zahlreicher Aktivist*innen. Dass geht heutzutage zivilisierter ab als in den Anfangsjahren dieser Konferenzen, als noch regelmäßig Stände der Industrie zerstört wurden. Und die skandierten Sprüche wirkten bisweilen auch wie aus der Zeit gefallen: „Pharma greet kills!“ Oder werden wir einfach nur älter und abgestumpfter?
Ein bisschen Schamgefühl werden die Proteste bei dem einen oder anderen möglicherweise doch produziert haben. Und es stimmt ja auch: Das Gewinnstreben und die Gier der Industrie, ihrer Repräsentant*innen und Aktionär*innen, führt dazu, dass Menschen aus weniger privilegierten Staaten kaum Chancen haben, zu überleben. Dass nach wie vor jede Minute ein Mensch an den Folgen von Aids stirbt ist und bleibt ein Skandal. Die Geschichte aus den Anfangsjahren des Aids-Aktivismus und des Zugangs zu HIV-Therapie für Menschen aus Ländern des globalen Südens, darf sich nicht wiederholen.
Der zweite "Berliner Patient"
Bereits im Vorfeld der Konferenz wurde mit großem Tamtam der zweite in Berlin von HIV geheilte „Berlin-Patient“ als weiterer wichtiger „Meilenstein“ im Kampf gegen Aids vorgestellt. Die Person gilt weltweit als siebte Person die als von HIV geheilt betrachtet wird. Der Patient erreichte nach einer Stammzelltransplantation eine anhaltende HIV-Remission. Die Stammzelltransplantation war aufgrund einer Krebserkrankung notwendig und erfolgte durch einen Spender mit einer seltenen genetischen Mutation, die unempfindlich gegen das Virus macht. Das Getöse um den Fall ging mir auf die Nerven. Dass das Konzept funktionieren kann, wurde lediglich ein weiteres Mal bestätigt. Worin besteht der Mehrwert dieser Information? Das Verfahren ist zu gefährlich, um im großen Maßstab eingesetzt zu werden. Darauf einlassen werden sich nur Personen, die aufgrund einer Krebserkrankung keine anderen Chancen mehr haben. Hier die Hoffnung auf „Heilung“ zu wecken, ist gewagt. Oder geht es vielleicht um etwas ganz anderes? Beispielsweise die Akquise von Forschungsgeldern? Eine etwas bescheidenere Kommunikation mit weniger Spektakel hätte ich hier für angezeigt und wünschenswert gehalten.
Deutschlands Engagement: "Und wir werden es weiter unterstützen"
Bundeskanzler Olaf Scholz hielt während der Eröffnungsveranstaltung der Konferenz eine ermutigende Rede, die wichtige Impulse für die Verwirklichung der gesundheitsbezogenen nachhaltigen Entwicklungsziele gab, insbesondere für die Beendigung von Aids als Bedrohung der öffentlichen Gesundheit. Dabei hob Scholz auch die Rolle des Globalen Fonds und von UNAIDS hervor. Das ist in Anbetracht der bestehenden Finanzierungslücke von jährlich 9,5 Millionen US-Dollar für die weltweiten Bemühungen zur Bekämpfung von Aids wichtig. Scholz kündigte in seiner Rede an, dass Deutschland der Globalen Aktionspartnerschaft von UNAIDS zur Beendigung von HIV-bedingter Stigmatisierung und Diskriminierung beitreten werde, was großen Zuspruch erntete. UNAIDS sieht sich derzeit mit einem Finanzierungsdefizit von 20 Millionen US-Dollar seines 160 Millionen US-Dollar umfassenden operativen Budgets konfrontiert. Der deutsche Beitrag zu UNAIDS beträgt in diesem Jahr 6,75 Millionen Euro. Der faire Beitrag müsste nach unseren Berechnungen – gemessen am den Finanzierungsbedarfen von UNAIDS und der Finanzstärke Deutschlands - eigentlich bei 15 Millionen Euro liegen.
Im nächsten Jahr findet die 8. Wiederauffüllungskonferenz des Globalen Fonds statt, bei der die weitere Finanzierung des Fonds für die nächsten drei Jahre sichergestellt werden soll. Für die letzte Wiederauffüllung hat die Bundesregierung für den Zeitraum zwischen 2023-2025 insgesamt 1,2 Milliarden Euro aus dem BMZ-Haushalt bereitgestellt. Der angestrebte Betrag von 1,3 Milliarden Euro soll durch Schuldenumwandlungen (Debt2Health) finanziert werden. Um die wichtige Arbeit des Globalen Fonds fortsetzen zu können, muss die weitere Finanzierung gesichert werden. Die derzeit vorgesehenen Kürzungen im Haushalt des Bundesministeriums für Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ) in Milliardenhöhe sind dabei sicherlich nicht hilfreich, wie das Aktionsbündnis gegen AIDS in eine an Kanzler Scholz gerichteten Brief schrieb, in welchem die positiven Aussagen während der Rede hervorgehoben wurden.
Dieser Bericht stellt eine sehr selektive Auswahl von während der Konferenz behandelten Themen dar. Andere werden Weiteres zu berichten haben. Natürlich gäbe es noch mehr zu schreiben, und es lohnt sich sicher, auf die Berichte anderer Personen und Organisationen zu achten.
Die nächste Welt Aids Konferenz 2026 soll in Rio de Janeiro stattfinden.
Peter Wiessner, August 2024
Fotos: Peter Wiessner
Foto UNAIDS Pressekonferenz: UNAIDS
Kontakt: wiessner@aktionsbuendnis-aids.de