Gastbeitrag - Selbstbestimmter Schutz vor HIV/AIDS dank des Dapivirin-Rings
Interview mit den beiden Expert*innen des Globalen Fonds zur HIV-Prävention Chris Obermeyer & Susie McLean.
Der Dapivirin-Vaginalring wurde mittlerweile von elf Staaten im Süden und Osten Afrikas – Botswana, Kenia, Lesotho, Malawi, Namibia, Ruanda, Sambia, Simbabwe, Südafrika und Uganda – für Frauen ab 18 Jahren zugelassen.
Inwiefern unterscheidet sich der Vaginalring von Verhütungsmitteln zur HIV-Prävention?
Der Dapivirin-Vaginalring ist in seiner aktuellen Variante kein Verhütungsmittel. Der Ring wird in die Vagina eingeführt, entweder durch die Verwenderin selbst oder im Rahmen einer medizinischen Behandlung. Dort bekämpft er HI-Viren einen Monat lang. Ein mit einem Kontrazeptivum kombinierter Ring befindet sich jedoch derzeit in klinischen Studien. Wir verfolgen den Zulassungsprozess mit großer Spannung, da der Dapivirin-Vaginalring bereits jetzt eine Lücke in der HIV-Prävention schließt. Anders als bei Kondomen haben Frauen die alleinige Entscheidungsgewalt über die Verwendung des Rings. Auch die tägliche orale Einnahme von HIV-Präexpositionsprophylaxe (PrEP) kann für Frauen problematisch sein aufgrund von HIV-Stigma oder weil Familienmitglieder oder Partner sie an der Einnahme hindern.
Der Ring ist das erste längerfristig wirkende Mittel der HIV-Prävention, das diskret genutzt werden kann und vollständig der Kontrolle der Anwenderin unterliegt.
Das Alter für die Zulassung kann sich von Land zu Land unterscheiden, das heißt, einige geben den Ring möglicherweise schon für heranwachsende Mädchen unter 18 Jahren frei.
Der Globale Fonds hat im vergangenen Jahr dabei unterstützt, 16.000 Vaginalringe zu bestellen. Wie werden die Ringe angenommen? Und als wie praktikabel erweist sich der Ring?
Der Ring weist eine hohe Praktikabilität auf, da er durch die Verwenderin selbst ohne medizinisches Vorwissen diskret zu Hause eingesetzt werden kann und anschließend einen Monat lang HI-Viren lokal in der Vagina bekämpft. Heranwachsende Mädchen und Frauen haben deutlich geäußert, dass sie den Vaginalring möchten. Auch Frauenrechtsaktivist*innen haben die Notwendigkeit einer diskreten und vollständig selbstbestimmbaren Möglichkeit zur HIV-Prävention betont. Unsere Praxiserfahrungen unterstreichen dies: Viele Frauen entscheiden sich für den Ring. Diesen Eindruck bestätigt auch die REACH-Studie, die das Potenzial zur Akzeptanz des Vaginalrings unter heranwachsenden Mädchen und jungen Frauen in Afrika untersucht hat. Die Teilnehmerinnen der Studie wurden in zwei Gruppen aufgeteilt, wobei die erste Gruppe zunächst sechs Monate lang PrEP oral eingenommen und dann sechs Monate den Ring verwendet hat, die zweite Gruppe umgekehrt. Auf die Frage, welches Mittel sie weiterverwenden würden, wählte eine große Mehrheit der Teilnehmerinnen den Ring.
Welche Rolle nimmt der Vaginalring damit in der Eindämmung von HIV/AIDS ein und was sind die nächsten Schritte für seine Etablierung?
Hauptsächlich ist der langfristig wirkende und diskrete Vaginalring eine wertvolle Ergänzung im sogenannten Toolkit, dem Werkzeugkasten, der HIV-Prävention. Dieses enthält neben dem Vaginalring auch Kondome, PrEP zur oralen Einnahme, sauberes Spritzbesteck und Opioid-Substitutionstherapie für Menschen, die sich Drogen spritzen, freiwillige medizinische Beschneidung für Männer sowie verbesserte HIV-Test-Technologien, insbesondere Selbsttests.
Nach unserer Erfahrung sind für die Menschen verschiedene Aspekte bei der HIV-Prävention wichtig, neben der Effektivität auch Gewohnheit, Kontrolle, Diskretion, Häufigkeit der Anwendung usw. Mehr Optionen zur Prävention sorgen gemeinsam mit einem breiteren Zugang zu Behandlungsmöglichkeiten von HIV dafür, dass eine Welt ohne AIDS mehr und mehr zu einem realistischen Szenario wird.
Gemeinsam mit seinen Partnern arbeitet der Globale Fonds daher aktuell daran, bestehende Gesundheitsinfrastrukturen ideal an die Verteilung der Ringe anzupassen, um sie möglichst breit verfügbar zu machen – vor allem auch mit Blick auf die Zukunft, wenn die Ringe in größerer Zahl und in verschiedenen Varianten erhältlich sind. Darunter fällt auch die Entwicklung innovativer Ansätze, um das Produkt allen Menschen zugänglich zu machen, die es wollen, und so dem Choice Manifesto gerecht zu werden. Wir können hoffentlich rund um die Internationale AIDS Konferenz Ende Juli Neuigkeiten dazu verkünden.
Wie sieht die allgemeine Strategie zur Beendigung von HIV/AIDS in den nächsten Jahren aus? Gibt es noch weitere Innovationen?
Die nächsten Jahre werden die HIV-Prävention revolutionieren. Nächstes Jahr soll eine 3-Monats-Variante des Vaginalrings zugelassen werden sowie ein Kombi-Vaginalring, der zusätzlich auch vor ungewollter Schwangerschaft schützt, ebenso wie eine kombinierte Pille zur oralen Einnahme. Diese Schritte sind enorm wichtig, denn wir sind überzeugt, dass ein kombiniertes PrEP/Kontrazeptivum viel bewirken kann im Leben junger Frauen. Auch injizierbares Lenacapavir (zwei Injektionen alle sechs Monate) soll im nächsten Jahr freigegeben werden. In den darauffolgenden Jahren erwarten wir, dass generisches CAB-LA, das alle zwei Monate injiziert wird, auf den Markt kommt (2026/27). Zudem verfolgen wir mit großem Interesse die Entwicklung der Tablette MK 8527 von Merck, die einmal pro Monat eingenommen werden soll und demnächst in Phase-III-Studien geht.
Der Blick auf die Wirkung der „Pille danach” zur Notfallverhütung lässt außerdem großes Potenzial einer Pille zur sogenannten Post Exposure Prophylaxis (PEP) bei der HIV-Prävention vermuten: eine Pille, die, eingenommen nach ungeschütztem Sex, das Risiko einer Ansteckung nachträglich mindert. Die WHO will noch diesen Sommer eine neue Richtlinie dazu veröffentlichen.
All diese Neuerungen in der HIV-Prävention lassen uns für die Zukunft hoffen. Der Globale Fonds und seine Partner arbeiten aktuell daran, deren Einführung abzusehen und nach Möglichkeit zu beschleunigen, um den Zugang dazu möglichst breit zu gestalten.
Und doch ist es wichtig, den Blick für das Wesentliche nicht zu verlieren: Das wichtigste Mittel der HIV-Prävention ist und bleibt das Kondom. Es ist sehr beliebt, vor allem unter jungen/erst kürzlich sexuell aktiv gewordenen Menschen, von denen viele besonders gefährdet sind. Wir weiten daher unsere Investitionen in Kondome aus, um sicherzustellen, dass sie in Risikoumgebungen wie Bars und Bordellen leichter zugänglich sind, und um das Marketing zu modernisieren und damit genau diejenigen anzusprechen, die die HIV-Prävention am meisten benötigen.
Insgesamt erreichen wir unsere Vision des 2030 Ziels zur Beendigung von HIV/AIDS nur mit einer Kombination aus verschiedenen Faktoren. Allen Menschen, die mit HIV leben, müssen wir Zugang zur HIV-Behandlung ermöglichen. Im Bereich Prävention müssen wir darauf fokussieren, die Nutzung von Kondomen und oraler PrEP, insbesondere unter jungen und sexuell neu aktiven Menschen auszuweiten, während wir zeitgleich die Nutzung des Vaginalrings, insbesondere unter sehr gefährdeten jungen Frauen im östlichen und südlichen Afrika, fördern und den Zugang zu allen neuen HIV-Präventionsoptionen ermöglichen. Außerdem spielt die Aufklärung und Ermächtigung derer, die HIV-Prävention benötigen, eine essenzielle Rolle, damit sie die HIV-Präventionsmöglichkeiten wahrnehmen können und ihren HIV-Status kennen.
Foto: IPM South Africa