Jede Minute stirbt ein Kind durch Malaria
Die Infektionskrankheit kann besiegt werden – wenn es die notwendige, kollektive Unterstützung gibt

Von Axel Schock - Es ist eine der gefährlichsten Infektionskrankheiten überhaupt, an der jährliche Hunderttausende sterben an den Folgen von Malaria. Dabei gibt es längst Mittel und Wege zur Verfügung, um Übertragungen und Erkrankungen zu verhindern – und somit Leben zu retten. Doch dazu bedarf es ausreichend Ressourcen, wie die gegebenen Beispiele verdeutlichen. Wir bedanken und bei Axel Schock für den Text, der auf der Basis von Interviews anlässlich unserer gemeinsamen Konferenz „Get Back On Track“ Der Beitrag des Globalen Fonds zur Erreichung der nachhaltigen Entwicklungsziele 2030“, im September in Berlin, entstanden ist.
Aus europäischer Perspektive ist Malaria eine exotische Krankheit, verbreitet nur in Regionen mit tropischem Klima. Wer in jene Gegenden reist, nimmt vorsorglich Tabletten ein. Doch was es für die besonders betroffenen Länder bedeutet, ständig mit der Gefahr einer Infektion zu leben, vor allem aber welche Dimensionen die durch Anopheles-Mücken übertragenen Krankheit in jenen Regionen hat, ist den wenigsten bewusst. Denn tatsächlich ist Malaria eines der größten Gesundheitsprobleme der Welt. 3,3 Milliarden Menschen leben in Malaria-Risikogebieten in Ländern Afrikas, Asiens oder Südamerikas. 241 Millionen Infektionen und 627.000 Todesfälle hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) 2020 weltweit registriert, rund 95% davon in Afrika. Besonders für Kinder unter fünf Jahren ist eine Malaria-Erkrankung riskant und sogar die Haupttodesursache: nur 20% überleben eine Infektion.
„Jede Minute stirbt ein Kind durch Malaria“
„Jede Minute stirbt ein Kind durch Malaria“, sagt Dr. Corinne Karema, um die Dimension deutlich zu machen. Sie ist die Interimsgeschäftsführerin von RBM Partnership to End Malaria, einer globalen Plattform, die von der Schweiz aus die Arbeit von Akteuren im privaten Sektor, der Zivilgesellschaft, aber auch von Regierungen und Organisationen organisiert. „Wir helfen betroffenen Ländern, Versorgungslücken zu identifizieren und mobilisieren Partner, seien es Wissenschaftler*innen, Gesundheitsorganisationen oder Politiker*innen, damit sie Malaria in ihrer Arbeit stärker in den Fokus nehmen“, erläutert Dr. Karema ihre Arbeit.
Neben der Gefahr für die Gesundheit hat Malaria auch eine enorme gesellschaftliche Auswirkung, wie Dr. Corine Karema im Gespräch am Rande der mit Kooperationspartner*innen des Aktionsbündnis gegen AIDS stattgefundenen internationalen Konferenz „Get back on track! Der Beitrag des Globalen Fonds zur Erreichung der nachhaltigen Entwicklungsziele 2030“, im September in Berlin erläutert.
„Jede Malaria-Erkrankung bedeutet, dass selbst bei bester Behandlung die Menschen mindestens eine Woche arbeitsunfähig sind. Dadurch verschlechtert sich nicht nur finanzielle Situation der Erkrankten und deren Familien, sondern es wirkt sich auch auf die Produktivität und Ökonomie des gesamten Landes aus.“
Und weil erkrankte Kinder nicht zur Schule gehen können, sind dadurch die Lernerfolge beeinträchtigt, wie Elisabeth Mballa Meka ergänzt. Sie ist Bürgermeisterin von Akom II im Süden Kameruns.
Mobile Hilfe kommt in die abgelegenen Dörfer
„Malaria ist in unserer Region stets präsent, weil die Moskitos in der ländlichen Gegend mit ihren vielen Wasserflächen eigentlich überall anzutreffen sind“, erzählt Mballa Meka.
Rund 35.000 Menschen leben in dem von ihr verwalteten Distrikt, verteilt auf über 30 Dörfer. Dies erschwert die Malaria-Situation zusätzlich, denn die Hilfscenter sind zu Fuß nicht zu erreichen, öffentliche Verkehrsmittel existieren kaum. Deshalb muss die Hilfe in die Dörfer kommen.
Elisabeth Mballa Meka hat daher vor einigen Jahren Sozialarbeiter*innen ausbilden lassen, die genau dies tun: Sie fahren in die Dörfer, nehmen Schnelltests vor und versorgen Erkrankte mit verbilligten Medikamenten (für Kinder bis fünf Jahren sind sie kostenfrei). Sie unterstützen Schwangere, damit sie ihre Therapie nicht frühzeitig abbrechen und sie ermutigen zu Impfungen (die allerdings nur in der Stadt vorgenommen werden können).
Wenn sich der Krankheitszustand verschlechtert, griffen die Menschen im ländlichen Raum früher auf traditionelle Medizin oder schlicht auf Paracetamol zurück, erzählt Mballa Meka. Damit aber werden die Symptome bestenfalls gelindert, Malaria verschwindet dadurch jedoch nicht. Die Mitarbeiter*innen des lokalen Gesundheitsdienstes sprechen die gleiche Sprache und haben über die Jahre enges Vertrauen aufbauen können. In solchen Fällen gelingt es ihnen daher, die Erkrankten zu bewegen ein Hilfscenter für die notwendige Behandlung aufzusuchen.
Mit geringem Aufwand Großes bewirken
Nicht zuletzt liefern die Sozialarbeiter*innen mit ihrer Dokumentation der Krankheitsfälle eine wichtige Basis für die Behörden, mit der die aktuelle Infektionslage abgebildet und konkrete Bedarfe erkannt werden können.
Elisabeth Mballa Mekas Projekt ist ein Paradebeispiel wie mit vergleichsweise geringem Aufwand Großes bewirkt werden kann, nämlich Leben gerettet. Doch möglich geworden war diese bürgernahe, aufsuchende Arbeit allein durch internationale Finanzierung. Als das entsprechende Programm ausgelaufen war, stand Mballa Mekas Initiative vor dem Aus.
Sie hatte sich deshalb kurzerhand entschieden, die Weiterfinanzierung mit ihrem Verwaltungsbudget zu stemmen. „Andernfalls hätten wir diese wichtige Arbeit beenden müssen“, sagt Mballa Meka.
Für Olivia Ngou ist das Community-Projekt von Akom II ein leuchtendes Beispiel dafür, wie im Zusammenspiel von regionalen, nationalen und internationalen Akteuren das Ziel, Malaria eines Tages auszurotten, tatsächlich erreicht werden kann.
"Ich bin davon überzeugt, dass der Aufbau stabiler kommunaler Strukturen, der Zusammenschluss lokaler Entscheidungsträger und die Förderung von Gemeinwesen der Schlüssel zum Sieg und zur nachhaltigen Bekämpfung von Krankheiten sind“, erläutert die Gründerin und Geschäftsführerin von Impact Santé Afrique. Die in Kameruns Hauptstadt Yaoundé ansässige Nichtregierungsorganisation wird von Frauen geleitet und konzentriert sich in ihrer Arbeit auf die Bekämpfung von Malaria und die Beteiligung der Bevölkerung. Auch bei ihrer früheren Tätigkeit für die gemeinnützige Organisation „Malaria No More“ hatte sich Olivia Ngou bereits dafür eingesetzt, dass die Erkrankung in Politik, Privatwirtschaft und bei den Regionalverwaltungen auf der Agenda nach oben rückt.
„Wir können diese Arbeit zu Ende bringen – wenn wir es denn wollen.“
„Ich glaube, dass wir den Kampf gegen die Krankheiten, die so viele Menschenleben gekostet haben, gewinnen können, wenn wir mit der globalen und lokalen Gemeinschaft kooperieren, stärker und intelligenter arbeiten und niemanden zurücklassen“, ist sich Ngou sicher. „Wir können diese Arbeit zu Ende bringen – wenn wir es denn wollen.“
Denn, wie sie energisch betont: „Wir haben wirksame Medikamente, wir haben wirksame Präventionsmaßnahmen wie Moskitonetze oder Insektizide, die im Haus versprüht werden können. Wir haben von der WHO anerkannte Impfstoffe“. Zudem seien neue, besser wirksame Vakzine in der Entwicklung, ebenso eine wirksame Behandlungsmöglichkeit spezielle für Neugeborene, wie auch bessere Tests und Moskitonetze. „Und im Gegensatz zu anderen Krankheiten wie Krebs oder HIV, können wir Menschen binnen weniger Tagen kurieren. Uns steht also ein ganzes Bündel an Maßnahmen zur Verfügung, um insbesondere die besonders vulnerablen Gruppen zu schützen und Erkrankten zu helfen.“ Es ist für sie daher völlig unverständlich, warum Menschen immer noch an Malaria sterben müssen.
Doch warum geschieht immer noch zu wenig? Zwischen 2000 und 2015 konnte die Zahl der Malaria-Toten um 50 % reduziert werden, insbesondere bei Kindern unter fünf Jahren sank die Mortalitätsrate deutlich. Doch inzwischen steigen wieder die Zahlen der Infektionen wie der Sterbefälle. Ein Grund sind sicherlich Corona-bedingte Beschränkungen, wodurch weniger Netze verteilt und Erkrankte, die Hilfseinrichtungen nicht aufsuchen konnten. Nicht zuletzt waren auch die Hilfskräfte durch die Pandemie überlastet.
„Alle reden heute über Corona, aber fast niemand über Malaria“
Ein weiterer Grund aber dürfte sein, dass Malaria eben nicht gleichermaßen im Bewusstsein der Menschen ist wie etwa Aids oder COVID-19.
„Alle reden heute über Corona, aber fast niemand über Malaria“, sagt Olivia Ngou. „Ich wünschte mir dieselben Anstrengungen und dasselbe Engagement für Malaria, wie wir es im Kampf gegen COVID-19 erlebt haben.“ Es dauerte keine zwei Jahre, bis Impfstoffe entwickelt und verfügbar waren. Bei Malaria hingegen dauerte es über 50 Jahre. Zudem werde Malaria viel zu sehr als regionales Phänomen wahrgenommen. Für die Übertragunπg bedarf es Moskitos, und die sind eben nur in bestimmten Weltgegenden beheimatet.
Olivia Ngou ist sich sicher: „Würde COVID-19 nur afrikanische Länder betreffen, wäre sicherlich nicht so schnell ein Corona-Vakzin entwickelt, produziert und verteilt worden.“
Umso wichtiger ist nun die Arbeit von Meschen wie Olivia Ngou und Dr. Corine Karema. Sie sorgen mit dafür, dass die Weltgemeinschaft Malaria nicht vergisst und ihren Beitrag dazu leistet, die Versorgungslücken zu schließen.
Die Malaria-Infektionszahlen sind zuletzt wieder gestiegen
„Wir müssen so schnell wie möglich wieder auf Kurs kommen, andernfalls geht uns angesichts der steigenden Infektionszahlen alles verloren, was wir bereits erreicht haben“, sagt Dr. Corine Karema. „Wir müssen daher die Entscheidungsträger*innen mobilisieren, in Malaria-Bekämpfung zu investieren und unsere regionalen Regierungen dazu bringen, das Gesundheitssystem und örtliche Hilfsangebote auszubauen. Und wir müssen aufgrund des Klimawandels viel offensiver handeln.“ Denn der hat in einigen Regionen bereits Auswirkungen auf den Lebenszyklus und das Verhalten der Moskitos* die Mücken stechen längt nicht mehr nur nachts, sondern sind auch bereits am frühen Abend aktiv und damit gefährlich.
Ngou sieht noch weitere Herausforderungen. „Wir müssen auch daran arbeiten, tatsächlich alle besonderen vulnerablen Gruppen in der Bevölkerung zu erreichen. Denn sie sind es, die besonders häufig an Malaria versterben.“ Neben der Landbevölkerung nennt sie Geflüchtete, Menschen in Bürgerkriegsgebieten und nomadische Bevölkerungsgruppen.
„Malaria könnte ausgerottet werden“, sagt Olivia Ngou. „Aber dazu benötigen wir die Unterstützung auf nationaler, globaler und lokaler Ebene.“ Über 600.000 Menschen Jahr für Jahr das Leben zu retten, sollte Notwendigkeit und Ansporn genug sein, um in einem gemeinsamen Kraftakt diese Herausforderung finanziell, politisch und organisatorisch zu unterstützen.
Text: Axel Schock
Fotos: Alexej Stoljarov
Aktionsbündnis gegen AIDS
September 2022
Kontakt: info@aids-kampagne.de