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HIV in Malawi

Interview mit Grace Ngulube: Die Menschen brauchen Zugang zu Gesundheitsdiensten direkt in ihren Communitys

Grace - Foto Peter

Grace ist 24 Jahre alt und setzt sich für sexuelle und reproduktive Gesundheit und HIV ein. Im Jahr 2020 beteiligte sie sich an der Entwicklung von Finanzierungsanträgen für den Globalen Fonds. Grace wurde mit HIV geboren und hat erlebt, wie schwer es für junge Menschen mit HIV ist, Zugang zu jugendfreundlichen Diensten zu bekommen. Malawi hatte lange Zeit eine der höchsten HIV/Aids-Raten weltweit. Doch in den letzten Jahren verbesserte sich die Lage deutlich, insbesondere für junge Frauen. An diesem Erfolg hat auch die Aktivistin Grace Ngulube ihren Anteil. Der Text dieses Feature Beitrags basiert auf einem Interview das wir im April 2022 zur Vorbereitung unserer Konferenz im September 2022 mit Grace Ngulube führen konnten. Thema des Interviews waren die Situation von Menschen mit HIV und Aids in Malawi, sowie die Bedeutung der Stärkung von Strukturen und Systemen, die Menschen mit HIV und deren Communities für sich geschaffen haben. Es ist uns wichtig die Arbeit mit Communities als wesentlichen Teil der Gesundheitssystemstärkung aufzufassen. Auch deshalb haben wir die Möglichkeit im Gespräch mit Grace mehr über Malawi und die Sichtweise der HIV-Communities zu erfahren, gerne aufgegriffen. Wir bedanken uns bei Axel Shock für den Text und bei Grace Ngulube für die Bereitschaft sich unseren Fragen zu stellen. Am 08. September 2022 veranstalten wir mit Partnerorganisationen in Berlin eine Konferenz, die wir dazu nutzten werden, diese Fragen mit Vertreter*innen von Organisationen wie UNAIDS, mit HIV-Aktivist*innen und Parlamentarier*innen vertiefend zu diskutieren. Zur Anmeldung und zum Programm der Konferenz geht es hier: https://forms.gle/c9bfxmVit9tyn31cA

Ernüchternde Zahlen, immer noch

Mindestens 2300 Kinder wurden 2020 in Malawi neu mit HIV infiziert, so eine offizielle Schätzung. Und nur etwas mehr als die Hälfte der Kinder mit HIV erhalten eine antiretrovirale Behandlung. Es sind ernüchternde Zahlen, immer noch. Gleichwohl hat das kleine ostafrikanische Land bei der Bekämpfung von HIV/Aids einiges erreicht. 1993, als die Epidemie ihren erschreckenden Höhepunkt erreicht hatte, war ein Drittel aller schwangeren Frauen mit HIV infiziert. Hunderttausende Kinder verloren ihre Mütter, ihre Väter oder sogar beide Elternteile durch Aids. Das Ausmaß der Aids-Krise war zeitweilig so groß, dass viele Familien und Dorfgemeinschaften völlig überfordert waren, sich um die Waisen zu kümmern.

Die HIV-Prävalenz unter Erwachsenen konnte mittlerweile deutlich gesenkt werden. Lag sie 2012 noch bei 10,8 Prozent, sank sie 2020 auf 8,1 Prozent. Dies bedeutet allerdings, dass sich in dem kleinen Land weiterhin pro Jahr etwa 21.000 Menschen neu mit HIV infizierten. Im Jahr 2020 starben offiziell 12.000 Personen an den Folgen von Aids. Und obwohl die Krankheit seit mittlerweile 30 Jahren das Schicksal Malawis bestimmt und faktisch jede Familie direkt oder indirekt von HIV betroffen ist, sind Stigmatisierung und Ausgrenzung nicht verschwunden.

Ich möchte, dass Menschen mit HIV ermutigt werden

Grace Ngulube wurde, wie viele zehntausend andere Menschen in Malawi, mit HIV geboren. Diskriminierungserfahrungen hat die 26-Jährige ihr ganzes bisheriges Leben machen müssen. Aber sie hat dies nicht einfach hinnehmen wollen. Im Gegenteil: Sie prägen ihr leidenschaftliches Engagement gegen HIV und Aids. „Ich wollte, dass es andere, denen es ähnlich ergeht, die ähnlichen Herausforderungen begegnen, es einfach besser haben. Ich möchte, dass sie nicht benachteiligt, sondern stattdessen ermutigt werden“, sagt sie im Interview. Grace Ngulube wurde aktiv, und das mit reichlich Power und ungebrochenem Einsatz.

Als Vorstandsmitglied der National Association for Young People Living with HIV, als Gründerin von Youth Health Connect 360 und Botschafterin von HER Voice für Malawi möchte Ngulube die Einstellung gegenüber Menschen mit HIV/Aids verändern und gegen ihre Diskriminierung und Stigmatisierung kämpfen. Als Mitglied im Jugendbeirat des Globalen Fonds hat sie zudem die Möglichkeit, ganz konkret regionale Programme mit vorzubereiten und auf den Weg zu bringen.

Durch den Globalen Fonds konnten Programm implementiert werden, die sich gezielt an junge Frauen richten

Die Investitionen des Globalen Fonds und die „Test- and Treat“-Strategie hätten dazu beigetragen, dass sich die Situation in Malawi in den zurückliegenden Jahren deutlich verbessert habe. Medikamente seien nunmehr überall erhältlich und Menschen müssen nicht mehr aufgrund der HIV-Infektion sterben. Außerdem hätten viele Mutter-Kind-Übertragungen verhindert werden können, sagt Grace Ngulube. Eine nicht minder wichtige Verbesserung: „Gerade auch jungen Frauen haben inzwischen Zugang zu sicheren sexuellen und reproduktiven Gesundheitsdiensten.“ Durch den Globalen Fonds konnten Programm initiiert und implementiert werden, die sich gezielt an junge Frauen richten. Grace Ngulube hebt zudem regionale Programme hervor, in denen der Schulbesuch für Jungen, Mädchen und junge Frauen umfangreich unterstützt wird. Das eröffnete nämlich vielerlei Möglichkeiten auch zu Gesundheitsfragen zu unterrichten, erklärt Ngulube. „Dadurch können wir diese jungen Menschen zudem ermutigen, auf jegliche Form von Gewalt, die sie erleben, aufmerksam zu machen: Nicht zu schweigen, diese Gewalt nicht zu ignorieren und einfach zu erdulden, sondern darüber zu sprechen.“

Was für den Erfolg von Programmen entscheidend ist

Entscheidend für den Erfolg sei, so Grace Ngulube, dass solche Angebote direkt in den jeweiligen Communities verankert sind und von Personen angeboten werden, die den Hilfesuchenden nahestehen.

„Wenn junge Menschen etwa Rat und Hilfe zu Sexualität und Fortpflanzung haben, sie beispielsweise Kondome erhalten, muss das auf einfachem Wege möglich sein“, erläutert Ngulube. Auch die Prä- und Post-Expositionsprophylaxe (kurz PrEP und PEP) müssten Teil dieser Angebote sein. „Es ist wichtig, dass dafür keine langen, aufwendigen Fahrten notwendig sind.“

Besondere Unterstützung benötigen aber auch die besonders vulnerablen unter den Schlüsselgruppen: Männer, die Sex mit Männern haben und Transgender würden von der Regierung nicht akzeptiert und bestenfalls ignoriert. Auch Inhaftierte und injizierende Drogengebraucher*innen sind gesellschaftliche Außenseiter. „Diese Menschen werden von der Gesellschaft geächtet und ausgestoßen. Sie leben versteckt und wagen deshalb nicht, Hilfe zu suchen – und sterben daher oft im Stillen“, berichtet Grace Ngulube. „Aber es gibt sie, und sie benötigen unsere Hilfe.“

Der Globale Fond stellt sicher, dass gefährdete Gruppen nicht vergessen werden.

Es sei daher wichtig, die Einstellung der Gesellschaft und der Politik gegenüber diesen Personengruppen zu ändern. Das ist, wie sie betont, keine einfache Aufgabe und wird lange Zeit brauchen. „Nur so wird es gelingen, diese Menschen zu ermutigen und ihnen zu ermöglichen, sich vor Infektionen zu schützen. Aber genauso auch, selbstbewusst und unabhängig zu werden.“

In diesem Prozess spiele der Globale Fonds eine entscheidende Rolle. Vielerorts konnten durch die Gelder etwa in die Ausstattung von Kliniken und Gesundheitseinrichtungen investiert werden.  Der Globale Fonds stellt aber auch sicher, dass bei den Programmen keine der gefährdeten Gruppen vergessen wird, und alle Menschen gleichermaßen die notwendige medizinische Versorgung erhalten.

Die malawischen Zivilorganisationen seien hier von zentraler Bedeutung, erklärt Grace Ngulube.

Denn die Akteur*innen seien in der Regel fest in den Communitys verankert. Sie sind die ersten, die von deren besonderen Problemen, Bedürfnissen und Herausforderungen erfahren. Und können daher auch unmittelbar darauf reagieren.

„Deshalb ist es auch so wichtig, dass ein wesentlicher Teil der Gelder des Globalen Fonds direkt in die Communitys geht“, unterstreicht Grace Ngulube mit Nachdruck. Denn die Mittel der Zivilorganisationen sind sehr begrenzt, und das bedeutet ganz konkret: Ohne finanzielle internationale Unterstützung stehen viele ihrer Programme schlicht vor dem Aus.

Zur Person: Grace Febbie Ngulube, Malawi - Vorstandsmitglied der National Association for Young People Living with HIV (Nationale Vereinigung für junge Menschen, die mit HIV leben); Gründerin von Youth Health Connect360; Mitglied des Global Fund Youth Council; HER-Voice-Botschafterin für Malawi. Grace ist 24 Jahre alt und setzt sich für sexuelle und reproduktive Gesundheit und HIV ein. Im Jahr 2020 beteiligte sie sich an der Entwicklung von Finanzierungsanträgen für den Globalen Fonds. Grace wurde mit HIV geboren und hat erlebt, wie schwer es für junge Menschen mit HIV ist, Zugang zu jugendfreundlichen Diensten zu bekommen.

Text: Axel Schock

Interview: Melanie Otto und Peter Wiessner

Fotos: Peter Wiessner

Aktionsbündnis gegen AIDS, 2024