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Offener Brief an Minister Habeck - Meinungswechsel in Sachen Patentrecht

Foto Peter Wiessner

Bündnis 90/DIE GRÜNEN sind an der Macht angekommen. Es waren vor allem auch zivilgesellschaftliche Organisationen, die viel Hoffnung in die Grünen setzten, vor allem in Bezug auf mehr Transparenz im politischen Betrieb, den eingeschränkter Einfluss durch Lobbyist*innen, eine insgesamt „glaubwürdigere“, „ehrlichere“ und „bürger*innen-nähere“ Politik. Dies sollte sich vor allem – so meine Hoffnung und die Hoffnung vieler Kolleg*innen und Aktivist*innen der deutschen Zivilgesellschaft, die sich für „Impfgerechtigkeit“ in Bezug auf den Zugang zu COVID-19 Impfstoffen interessieren – in einer anderen Politik im Bezug auf eine flexiblere Anwendung des Patentrecht bei lebensrettenden Arzneien, widerspiegeln. Es ist bekannt, dass vor allem Deutschland mit ein paar anderen überwiegend europäischen Ländern die zeitlich begrenzte Aussetzung der Patentrechte blockieren und somit die Produktion von Impfstoffen in Ländern des globalen Südens verhindern. Das Ergebnis sind astronomische Gewinne der pharmazeutischen Industrie und Massengräber im globalen Süden. Alleine die Firma Biontech in der Mainzer „an der Goldgrube 12“ (kein Witz: die Adresse des Firmensitzes) setzte im ersten Quartal 2021 mit seinem mRNA Impfstoff 2,05 Milliarden Euro um. Eine wahre Goldgrube! Die WHO zählt bis heute 5.783.776 Todesfälle durch COVID-19. Viele diese Todesfälle hätten vermieden werden können, wenn Schutzmöglichkeiten für alle nicht an der Profitgier einzelner scheitern würden. Eine wahre Tragödie!

Bei BLOG Beiträgen handelt es sich um individuelle Meinungsbeiträge mit dem Ziel aktuelle Diskussionen aufzugreifen. Die getroffenen Aussagen und Bewertungen spiegeln nicht unbedingt die Haltung des Aktionsbündnisses wider. Rückmeldung zu den einzelnen Beiträgen bitten wir direkt an die Autor*innen zu richten. 
 

Was interessieren uns unsere Versprechen von gestern?

Vor der Bundestagswahl hatten sich die Bündnis90/DIE GRÜNEN im Wahlbarometer des Aktionsbündnis gegen AIDS gegen die Blockadehaltung der vorherigen Bundesregierung ausgesprochen. Auf die Frage: „Gemeinsam mit der WHO fordern über 100 nationale Regierungen die EC und die EU-Mitgliedstaaten auf, ihre Blockadehaltung gegenüber der „TRIPS-Waiver“-Initiative in der WTO zu beenden. Welche Haltung hat Ihre Partei gegenüber der deutschen Blockadehaltung?“ antwortete die Partei:

„Wir GRÜNE haben die ablehnende Haltung Deutschlands kritisiert. Wir wollen, dass international alle Maßnahmen ergriffen werden, die einen schnellstmöglichen Zugang insbesondere zu bezahlbaren Generika ermöglichen. Dies soll insbesondere, wenn auch nicht ausschließlich, durch die vollumfängliche Anwendung der im Welthandelsrecht (WTO, TRIPS-Abkommen) festgeschriebenen sogenannten TRIPS-Flexibilitäten zum Schutz und der Förderung der öffentlichen Gesundheit erreicht werden. In Freihandelsabkommen der EU dürfen keine so genannten TRIPS+-Bestimmungen, wie beispielsweise verlängerte Patentlaufzeiten oder Datenexklusivität, festgeschrieben werden. Medikamente und Impfstoffe müssen in allen Ländern erschwinglich und zugänglich sein, das Patentrecht muss entsprechend flexibel sein. Monopole auf geistiges Eigentum zur Bekämpfung von Krankheiten dürfen den Zugang zu überlebenswichtigen Schutzmaterialien, Impfstoffen und Arzneimitteln nicht versperren.“

Korrumpieren politische Ämter?

Noch im Mai 2021 - bevor er ein Ministeramt inne hatte - hatte sich Habeck für die Initiative von mehr als 100 ärmeren Mitgliedsstaaten der Welthandelsorganisation (WTO) ausgesprochen. Diese sieht vor, für die Dauer der Pandemie geistige Eigentumsrechte auf Medikamente, Impfstoffe und andere medizinische Produkte gegen Covid-19 auszusetzen. Als Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz sieht er das nun plötzlich anders. So hat Habeck sich in der Bundespressekonferenz vom 26.01.22 plötzlich ablehnend geäußert.

20 Organisationen der deutschen Zivilgesellschaft unterzeichneten einen der Ärzte ohne Grenzen verfassten offenen Brief zu den Unterzeichnenden Organisationen gehören die Ärzte der Welt, die BUKO Pharma-Kampagne, Amnesty International, das Aktionsbündnis gegen AIDS und andere.

„Wir sind sehr enttäuscht, dass Bundesminister Habeck in so einer wichtigen Frage seine Meinung ändert, kurz nachdem er der verantwortliche Minister wurde – auf der Grundlage von einseitigen und nicht stichhaltigen Argumenten der Pharmaindustrie und ohne mit der Zivilgesellschaft zu sprechen“, heißt es in einer Presseklärung der Ärzte ohne Grenzen.   

Zum Inhalt des Offenen Briefs

In dem Brief widersprechen die Organisationen der Argumentation Habecks und der wiederholten Behauptung der pharmazeutischen Industrie, wonach die Produktion von mRNA-Impfstoffen zu kompliziert und zu langwierig für Unternehmen im globalen Süden sei.  Nach einem Bericht von Human Rights Watch gibt es mehr als 120 Impfstoffproduzenten in Lateinamerika, Afrika und Asien, die dazu in der Lage sind. Biontech selbst hat gezeigt, dass neue Produktionsstätten innerhalb von sechs Monaten in Betrieb genommen werden könnten. Noch deutlicher als bei Impfstoffen ist jedoch der Nutzen der Patentaussetzung etwa bei Covid-19-Medikamenten, die ohne umfangreichen Technologietransfer als Generika produziert werden könnten.   

„Um es ganz klar zu sagen: Durch die fortgesetzte Blockade des TRIPS Waivers wird das Aufrechterhalten der Monopolstellung der Covid-19-Impfstoffhersteller und die Abhängigkeit der Länder im Globalen Süden von wenigen reichen Ländern weiter verschärft. Auch der faire Zugang zu Covid-19-Medikamenten, Tests und anderen Produkten ist aufgrund des Patenschutzes und geistigen Eigentumsrechten blockiert. Die Folgen dieses unsolidarischen Handelns sind auch aus epidemiologischer sowie aus weltwirtschaftlicher Sicht verheerend. Bei den inzwischen 15 Monaten der Verhandlungen auf WTO-Ebene zum TRIPS Waiver hat sich die vorige deutsche Bundesregierung als klarer Blockierer erwiesen. Wir fordern Sie als für diese Verhandlungen zuständigen Minister auf, diese Blockade aufzugeben und an konstruktiven Lösungen mitzuwirken.“

In dem Offenen Brief wird Habeck darüber hinaus zu einem Austausch mit der Zivilgesellschaft aufgefordert: „Als zivilgesellschaftliche Organisationen, die teilweise seit Jahrzehnten zu Zugang zu Gesundheitstechnologien und damit auch zu produktionshemmenden geistigen Eigentumsrechten arbeiten, erwarten wir gerade von Ihrer Partei, dass nicht nur die Industrie, sondern auch wir als Vertreter*innen der Zivilgesellschaft in Konsultationen einbezogen zu werden”, heißt es in dem Schreiben.  

Anlässlich des offenen Briefs fand am 4. Februar ein Protestmarsch vom Bundestag zur Parteizentrale der Bündnis 90/DIE GRÜNEN statt. Während des Protestzugs wurden noch einmal die Forderungen der Aktivist*innen formuliert. Beinahe ein bisschen wehmütig erinnerte die ganze Aktion an Formen des HIV-Aktivismus zu Zeiten der ACT UP Bewegung. Die Anliegen sind ja auch durchaus vergleichbar: damals wie heute geht es darum den Einfluss der Industrie auf die Politik zu brechen. Es geht um Verteilungsgerechtigkeit und die Verwirklichung des Rechts auf Zugang zu lebensrettenden Medikamenten. Es geht um die Frage was mehr zählt: das Profitstreben einzelner oder Gesundheit für alle: Herr Habeck hat sich entschieden. 

Die Abschlusskundgebung der Demonstration vor der Parteizentrale der Bündnis90/DIE GRÜNEN fand vor geschlossenen Fenstern statt. Man kennt das ja bei Protestzügen. Ernüchternd, wie schnell sich die Partei nach dem Machtwechsel in dieser Frage angepasst hat.

Ich hätte das nicht für möglich gehalten!   

Quellen:

Offener Brief: https://www.aids-kampagne.de/sites/defau...

Zur Pressemitteilung MSF: http://msf.de/Offener-Brief-Habeck 

Die Stellungnahme von Robert Habeck vor der Bundespressekonferenz am 26. Januar finden Sie hier (Timecode 01:06:39): https://www.youtube.com/watch?v=Tz6HgUTlJEo

Bericht Human Rights Watch: https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhal...

Milliardengewinne bei Biontech in der Mainzer Goldgrube 12: Stadthttps://www.swr.de/swraktuell/rheinland-... Mainz freut sich über Biontech-Milliardengewinn - SWR Aktuell

WHO Zahlen COVID-19 global: https://covid19.who.int/

Peter Wiessner

13.02.2022

Kontakt:  wiessner@aids-kampagne.de

Fotos: Peter Wiessner

Aktionsbündnis gegen AIDS, 2024