Ohne internationale Hilfe könnte Indonesien die notwendige Medikamentenversorgung nicht leisten
Interview mit Ani Herna Sari aus Indonesien, zur Vorbereitung unserer Konferenz "Global Health Champion Germany? Von HIV zu SARS-CoV-2. Was haben wir (nicht) gelernt?"

Interview mit Ani Herna Sari aus Indonesien, zur Vorbereitung unserer Konferenz "Global Health Champion Germany? Von HIV zu SARS-CoV-2. Was haben wir (nicht) gelernt?" Text: Axel Schock. Photo: Ani Herna Sari
Eine Phase der Diskriminierung begann
Es waren die zwei wohl schrecklichsten Jahre, die Ani Herna Sari durchstehen musste. Nachdem 2011 bei ihr eine Tuberkulose zunächst falsch diagnostizierte worden war, führte dies zu einer multiresistenden Form der Erkrankung. Erschwerend kam hinzu, dass die Therapie mit ihrer Schwangerschaft zusammenfiel. Die körperliche Belastung war enorm, die täglichen Injektionen oft mit großen Schmerzen verbunden und dies war vielleicht auch der Grund, weshalb die Wehen einen Monat zu früh einsetzten. Doch mit der Entbindung begann nun, wie Ani Herna Sari erzählt, „eine Phase der Diskriminierung, wie ich sie mir nie hätte vorstellen können“. Im Krankenhaus sei sie isoliert in einem von allen Seiten einsehbaren Raum untergebracht wurden. „Es gab keinerlei Privatsphäre. Es war einfach beschämend.“ Dass ihre monatelage Therapie erfolgreich war und die Tuberkulose-Tests bereits negativ ausfielen, hätte man einfach ignoriert, sagt die Kommunikationswissenschaftlerin, die in Surabaya auf der indonesischen Hauptinsel Java lebt.
Traumatische Erlebnisse auf der Entbindungsstation
Auch ihr Kind wurde separiert untergebracht. Weil die Krankschwestern jegliche Berührungen vermeiden wollten, wurde dem Neugeborenen nicht die Flasche gegeben, sondern diese lediglich dicht an Kopf gedrückt.
Als der Säugling nach acht Tagen aus dem Krankenhaus entlassen wurde, zeigten sich die Folgen dieser rabiaten wie gefühllosen Behandlung: die Schädeldecke war durch die Milchflasche an einer Kopfseite plattgedrückt.
Die Erlebnisse waren für Ani Herna Sari traumatisch. „Es waren sicherlich besondere Erfragungen, die ich als schwangere Frau mit Tuberkulose gemacht habe, aber mir ist dennoch wichtig, davon zu erzählen“, erklärt sie. „Keiner Mutter und keinem Kind soll etwas Ähnliches passieren.“ Und sie möchte nicht nur auf die Missstände hinweisen, sondern auch für mehr Unterstützung und Investitionen in die Tuberkulosebekämpfung und insbesondere in den Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria werben. Diesem habe sie letztlich auch zu verdanken, dass sie die Krankheit überlebt hat.
Ani Herna Sari, die derzeit an der Universität Airlangga promoviert, schloss sich zunächst Perkumpulan Rekat Surabaya an, einer Selbsthilfeorganisation, die an multiresistenter Tuberkulose Erkrankte unterstützt, die Behandlung erfolgreich abzuschließen. Ein kleines Team klärt über die Erkrankung und die Behandlung auf und verhilft zu einer Therapie. Klient*innen, die aufgrund körperlicher Einschränkungen nicht in der Lage sind, Kliniken aufzusuchen, werden mit den notwendigen Medikamenten versorgt.
Peer-to-Peer-Hilfe für andere Betroffene
2021 wurde Ani Herna Sari stellvertretende Vorsitzende von Perhimpunan Organisasi Passion TB Indonesia, einem nationalen Netzwerk von Überlebendenorganisationen. Ihr Engagement reicht inzwischen auch über die Landesgrenzen hinaus. So arbeitet sie beispielsweise auch für die neugegründete Organisation TB Women Global, einem Netzwerk von Frauen, zu dessen Agenda auch die Förderung der Geschlechtergleichheit und der Menschenrechte in der Tuberkulosebekämpfung gehört.
Allein die verschiedenen Felder, in denen Ani Herna Sari sich in Indonesien für die Rechte und für die Behandlung von Tuberkulose- wie auch vom HIV-Erkrankten engagiert, zeigt, wie zahlreich und komplex die zu bewältigenden Hindernissen und Herausforderungen immer noch sind.
„Es gibt weiterhin viele Menschen mit Tuberkulose bzw. mit HIV, die nicht in Therapie sind. Und ohne internationale Hilfe könnte Indonesien die Versorgung der Infizierten mit Medikamenten nicht stemmen“, sagt Ani Herna Sari.
Die Zahl der Tuberkulose-Toten nimmt weltweit zu
Laut dem Global Tuberculosis Report 2019 der Weltgesundheitsorganisation steht Indonesien mit 845.000 Tuberkulosefällen pro Jahr weltweit an dritter Stelle. Darunter sind 21.000 HIV-Tuberkulose-Koinfektionen und etwa 24.000 besonders schwer zu behandelnde multiresistente Tuberkulose-Fälle. Von den über 10.000 Patient*innen mit bekanntem HIV-Status hatten 2019 lediglich 4.000 eine antiretrovirale Therapie erhalten.
Durch den Global Fund werden nicht nur Medikamente für die Tuberkulose-Behandlung, und zwar bis zur vollständigen Heilung finanziert, sondern auch die regelmäßigen Sputum- und Blutuntersuchungen. Der Global Fund bietet zudem Unterstützung, damit die Menschen nach einer oft jahrelangen Behandlung wieder ins Berufsleben zurückfinden können. Für Ani Herna Sari ist zudem auch von großer Bedeutung, dass durch Mittel des Gobal Fund in den Communitys Fachkompetenzen aufgebaut, die Interessenvertretungen gestärkt und auch ganz praktisch Präventionsprogramme durchgeführt werden können.
„Von Tuberkulose betroffen sind vor allem Personen der unteren Einkommensklassen. Sie sind durch die Erkrankung faktisch ohne Einkommen“, erklärt Hernasiri. Der Global Fund unterstützen deshalb Hilfsbedürftige auch ganz direkt mit Geldzahlungen – zum Beispiel um die Fahrtkosten für die regelmäßigen Besuche in der Klinik zu decken.
Ein grundlegendes Problem sei aber weiterhin die Kontaktnachverfolgung.
„Viele Infizierte schämen sich, wenn sie ihre HIV- oder Tuberkulose-Diagnose erhalten“, erzählt Ani Herna Sari. Die Stigmatisierung und die Diskriminierung seien in Indonesien immer noch sehr groß. Viele ziehen deshalb in einen anderen Distrikt - und sind dann für Gesundheitseinrichtungen oder Selbsthilfeorganisationen nicht mehr erreichbar. Zudem besteht die Gefahr, dass sie die Infektion weitertragen.
Es gebe auch durchaus noch Regionen, in denen man den Therapien sehr skeptisch gegenüberstehe und lieber auf traditionelle Medizin setzt. „Hier steht noch jede Menge Arbeit vor uns, um über die Erkrankungen, die Übertragungswege wie auch über die Heilungsmöglichkeiten aufzuklären“, sagt Ani Herna Sari.
Durch die Corona-Pandemie hat sich die Lage zugespitzt
Covid-19 hat die ohnehin nicht einfache Lage noch weiter erschwert, und zwar einschneidend.
Auch in Indonesien wurde das gesellschaftliche Leben in der Corona-Pandemie heruntergefahren, Kontaktbeschränkungen verhängt. Und für Ani Herna Sari kamen neue Aufgaben hinzu. Ihre Organisation Rekat Surabaya arbeitet eng mit dem Gesundheitsamt der Verwaltung von Surabya zusammen, um die COVID-19-Situation in der Provinz zu überwachen und zu bewerten – und das Gesundheitsamt über die Situation der an Tuberkulose Erkrankten zu informieren. Über die Social-Media-Plattformen der Organisation verbreitet Rekat Surabaya gezielt Informationen über COVID-19-Präventions- und Sicherheitsmaßnahmen für von Tuberkulose betroffene Menschen.
Die Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie bedeutete für viele jedoch auch den Verlust ihrer Arbeit. Eine staatliche Unterstützung aber gibt es in solchen Fällen nicht. Die betroffenen Menschen mussten daher notgedrungen die Städte verlassen und wieder in ihre Heimatdörfer zurückkehren. Dort aber werden ihre Therapien nicht fortgesetzt.
Fast die Hälfte der Tuberkulose-Behandlungen wurden unterbrochen
Die Auswirkungen der Pandemie auf die Tuberkulose-Behandlungen sind immens und zwar weltweit. Zwei Drittel aller Tuberkulose-Programme sind unterbrochen, die Kapazitäten für Labordiagnostik wurden vielerorts statt für Tuberkulose nun für Covid-19 eingesetzt.
Die Weltgesundheitsorganisation geht davon aus, dass auch die Zahl der an Tuberkulose Verstorbenen steigen wird. Allein eine halbe Million Menschen, so die Schätzung, sind 2020 zusätzlich an Tuberkulose gestorben, weil sie keine Diagnose erhalten haben.
Allerdings werden sich diese Zahlen nur bedingt in den Statistiken niederschlagen, denn in der Pandemie ist in vielen Ländern auch das Meldesystem zusammengebrochen.
Und weltweit wurden rund 1,4 Millionen Menschen weniger mit Tuberkulose behandelt als im Vorjahr. Den größten Rückgang, nämlich um 42 %, gab es in Indonesien.
Organisationen wie Rekat Surabaya haben dennoch Möglichkeiten gefunden, damit die Therapien auch unter diesen erschwerten Bedingungen möglichst lückenlos fortgesetzt werden können.
Tuberkulose-Patient*innen müssen in Indonesien täglich zu ihrer Klinik kommen, um dort ihre Medikamente einzunehmen. Damit soll sichergestellt werden, dass die Therapie nicht unterbrochen wird. Die Nebenwirkungen sind zum Teil sehr heftig, erklärt Ani Herna Sari. Die die Patient*innen fühlten sich dadurch bisweilen so krank, dass sie nicht arbeiten können und deshalb die Einnahme vermeiden. Doch infolge der Corona-Pandemie war der öffentliche Nahverkehr zeitweilig eingestellt, sodass die Klinikbesuche mit Privatfahrzeugen organisiert werden musste. Als eine wochenweise Take-Home-Vergabe der Medikamente möglich wurde, lieferte das Team von Rekat Surabaya die Tuberkulosemedikamente direkt nachhause. Die Klient*innen wurden täglich mit einem WhatsApp-Videoanrufen an die Einnahme erinnert und zugleich wurde sichergestellt, dass die Medikamenteneinnahe regelmäßig und ordnungsgemäß fortgesetzt wurde.
Die Corona-Krise hat nach Ansicht von Ani Herna Sari einmal mehr vor Augen geführt, dass Krankheiten in der Gesellschaft unterschiedlich konnotiert werden.
Tuberkulose ist ein Stigma
„Covid-19 Erkrankte können sich der Unterstützung sicher sein. Der Staat sorgt für deren Behandlung, und falls nötig auch für Lebensmittel“, sagt Ani Herna Sari. Tuberkulose-Erkrankte hingegen würden aus Angst vor einer Infektion gemieden. „Das führt faktisch zu einer sozialen Isolation“. Gleiches erlebten auch viele Menschen mit HIV. „Mein bester Freund ist schwul und HIV-infiziert, aber er hat sich bis heute – aus Scham – nicht getraut, dies seinem Partner zu sagen, und ich muss davon ausgehen, dass dieser ebenfalls infiziert ist.“ Die Angst vor der Stigmatisierung macht das Reden über die Infektion für viele unmöglich, selbst innerhalb einer Beziehung.
„Ich habe mich während der Krankheitsphasen völlig aus dem sozialen Leben zurückgezogen und mich letztlich selbst stigmatisiert“, gibt Ani Herna Sari offen zu. „Ich wollte natürlich nicht, dass ich jemanden infiziere. Glücklicherweise haben mich meine Familie und auch einige Freunde sehr unterstützt.“
Zwar gebe es staatliche Programme, mit denen Stigma und Diskriminierung von HIV und Tuberkulose-Patient*innen abgebaut werden sollen und in die auch Vertreter*innen der Schlüsselgruppen, der Community wie aber auch religiöser Gemeinschaften eingebunden sind. Doch genauso wichtig sind ihrer Ansicht nach Community-Projekte von und für HIV- bzw. Tuberkulose-Infizierte.
In den Tuberkulose-Gruppen tauschten beispielsweise andere Erkrankte und Geheilte ihre Erfahrungen aus, geben sich aber auch Tipps wie die Genesung unterstützt werden kann, etwa durch Aktivitäten wie morgendliche Spaziergänge. „Aber auch für das seelische Wohl ist der Austausch wichtig, zum Beispiel um sich gegenseitig darin zu bestärken, die nicht immer leichte Therapie bis zum Abschluss durchzustehen.“
Ich konnte mich nicht entscheiden, in welchem Land ich geboren werde
Doch ohne internationale Hilfe können diese Infrastrukturen nicht weiter ausgebaut und erhalten werden. Und so hofft Ani Herna Sari, dass die reicheren Länder der Weltgemeinschaft, wie etwa Deutschland, den Global Fund mit ausreichend Mitteln versorgen.
„Ich konnte mich nicht entscheiden, in welchem Land ich geboren werde und ob ich in einer reichen oder armen Familie aufwachse“, sagt Ani Herna Sari. „Aber ich bin der festen Überzeugung, dass jeder Mensch das Recht hat, vor Krankheiten geschützt zu sein und atmen zu können. Deshalb hoffe ich, dass wir auch weiterhin die Unterstützung bekommen, um in Indonesien und andernorts HIV, Malaria und Tuberkulose bekämpfen zu können.“
Danke an Axel Schock für den Text und an Ani Herna Sari, für den Einblick in ihre Geschichte
Weitere Informationen:
November 2021