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„Viele wichtige Projekte hätten ohne Unterstützung des Global Fund nicht realisiert werden können“

Interview im Vorfeld der Konferenz "Global Health Champion Deutschland?! Von HIV zu SARS-CoV-2. Was haben wir (nicht) gelernt?"

Als Gautam Yadav mit 18 Jahren seine HIV-Diagnose erhielt, hatte ihn jeglicher Lebensmut verlassen. Wenige Jahre später ist er nicht nur einer der bekanntesten LGBT- und HIV-Aktivisten Indiens, sondern auch ein Beispiel dafür, wie wichtig der Aufbau von Community-Projekten ist.

Artikel von Axel Schock, Fotos © Gautam Yadav

Als Jugendlicher hätte Gautam dringend Hilfe benötigt oder zumindest einen vertrauensvollen Menschen, dem er seine Nöte hätte anvertrauen können. Zum Beispiel seine Verunsicherung und die Ängste, die ihn bei der Suche nach seiner sexuellen Identität begleiteten. Doch da war niemand. Schlimmer noch: In seiner Schule haben einige den schwulen Mitschüler als ideales Mobbingopfer ausgemacht und Gautam das Leben noch schwerer gemacht, als es für ihn ohnehin schon war. Er sah keinen anderen Ausweg als die Schule abzubrechen. Über das Internet fand er erste Kontakte zu anderen schwulen Männern – und wurde mit 18 Jahren HIV-positiv getestet.

„Es war schwierig für mich, meinen HIV-Status zu akzeptieren und damit umzugehen, weil ich nicht wusste, an wen ich mich wenden sollte“, erinnert sich der in Neu-Delhi aufgewachsene Gautam Yadav an diese Zeit. Den Eltern traute er es nicht zu sagen, und von den Schulkameraden konnte er Akzeptanz oder gar Unterstützung ohnehin nicht erwarten.

Diese Erlebnisse und vor allem die damit verbundene Aussichtslosigkeit hatten Gautam Yadav damals in eine Depression gestürzt, aus der er erst wieder durch die Hilfe von Community-Organisationen herausfand – und zugleich auch neues Selbstbewusstsein und Selbstakzeptanz erlangte.

„Diese Erfahrungen waren es, weshalb ich mich dazu entschloss, mich der sozialen Arbeit zu widmen und meinen Beitrag zu leisten, damit andere in einer ähnlichen Situation die notwendige Hilfe finden“, sagt Yadav.

„Ich möchte nicht, dass andere Gautams mit 15 oder 16 Jahren so leiden müssen wie ich. Ich möchte den Menschen helfen, dass sie ihre Situation zu verstehen." Und auch, dass sie – anders als er – frühzeitig über HIV und den Schutz vor einer Infektion aufgeklärt werden. Gautam war 19 Jahre alt, als er sich dazu entschließt, sich für andere junge Menschen mit HIV einzusetzen. Auch nunmehr über einem Jahrzehnt hat sein Engagement nicht nachgelassen.

Fürsprecher für die Recht von LGBT und Menschen mit HIV

Durch seine vielen Interviews und öffentliche Auftritte ist Gautam Yadav nicht nur zu einem Vorbild von Menschen mit HIV und der LGBT-Community, sondern auch ein bekannter Fürsprecher für deren Rechte geworden. Immer wieder hat er erlebt, welche unmittelbare Wirkung er auf das Leben anderer queerer bzw. HIV-positiver Menschen hat. Sie kontaktieren ihn, beispielsweise nachdem sie ein Video mit ihm gesehen oder ein Interview gelesen haben und finden dadurch den Mut, ihm ihre eigene Geschichte zu erzählen.  Andere suchen Rat oder wollen ihm einfach nur mitteilen, dass sie sich durch sein selbstbewusstes, offenes Auftreten nicht mehr so allein oder schlecht fühlten.

Über die Jahre hat Gautam Yadav im Rahmen seines Engagements eine ganze Reihe von verantwortungsvollen und wichtigen Ämtern übernommen, etwa das des Programmbeauftragten des Humsafar Trust, der ältesten LGTIQ-Organisation Indiens. Er ist zudem auch Vorstandsmitglied des UNAIDS Youth Advisory Forums und Mitglied des Global Fund Advocates Network (GFAN).

Viele der Projekte, in denen er inzwischen mitgearbeitet hat, hätten ohne Unterstützung des Global Fund in dieser Form und mit diesem Resultat nicht umgesetzt werden können, sagt Yadav – seien es Projekte zur Verhinderung der Mutter-Kind-Transmission bzw. zur Schadensminimierung bei Drogengebraucher*innen oder die erste landesweite Vernetzung von LGBT-Organisationen, durch die die Community und Mensch mit HIV besser zu Beratung und Unterstützung finden können.

Zentral für die Arbeit mit dem Global Fund ist für Gautam Yadav, dass den Communitys die Möglichkeit gegeben werde, mehr oder weniger eigenverantwortlich Projekte umzusetzen.

Das sei nicht nur sinnvoll, weil die Communitys selbst am besten wissen, was die Probleme sind und welche Lösungen zielführend sind. Es sei auch eine enorm produktive Form der Selbstermächtigung. „Wenn Menschen für ihre eigene Gemeinschaft arbeiten und dabei zudem als HIV-Positive öffentlich sichtbar werden, wirkt dies auch als Empowerment der Community.“

Menschenrechte sind Teil des globalen Kampfes gegen HIV/Aids

„Die Arbeit für Menschen mit HIV ist zudem automatisch verbunden mit dem Einsatz für grundlegende Menschenrechte“, sagt Yadav. Ein Resultat dieser Arbeit sei 2018 das Urteil des Obersten Gerichtshofs Indiens gewesen, mit dem der aus Kolonialzeiten stammende Paragraf 377 des Strafgesetzbuchs aufgehoben wurde. Damit konnten bis dahin „sexuelle Handlungen wider die Natur“ mit Haftstrafen belegt werden. „Erst durch die Unterstützung des Global Funds hatten wir überhaupt die Möglichkeit unsere Rechte zu erstreiten“, erklärt Gautam Yadav.

Das Urteil hatte weitreichende Folgen für LGBTs in Indien: „Sie sprechen nun offener über ihre Sexualität, sie wagen ihr Coming-out und verstecken sich nicht mehr – und sie nutzen die Möglichkeiten für HIV-Tests.“

Doch wie in vielen Teilen der Welt hat die Covid-19-Pandemie auch in Indien den Kampf gegen andere Krankheiten wie HIV/Aids, Malaria oder Tuberkulose behindert, wenn nicht gar zu Rückschlägen geführt.

Die Pandemie hatte Gautam Yadav 2019 in Nepal überrascht, wo er an einem einjährigen Austauschprogramm teilnahm. „Ich war bestürzt und deprimiert“, erinnert er sich.

„Die Grenzen wurden geschlossen, alles ging in den Lockdown. Ich dachte: Wenn ich jetzt an Covid-19 sterbe, wird mein Leichnam in der Fremde bleiben. Und wenn zuhause jemand von meinen Freunden oder Angehörigen sterben sollte, werde ich sie nicht mehr sehen können. Das hat mich sehr belastet.“

Die Covid-19-Pandemie hat HIV, Tuberkulose und Malaria in den Hintergrund treten lassen

Als er nach Indien zurückkam, fand er eine schreckliche Situation vor: Es fehlte an Sauerstoff, die Menschen litten schreckliche Qualen und viel zu viele Menschen starben, weil sie schlicht nicht versorgt werden konnten.

Die Lage – medizinisch wie auch für die von der Pandemie auf verschiedenste Weise getroffenen Communitys – hat sich inzwischen jedoch deutlich verbessert. Eine große Hilfe war dabei auch der Covid-19 Relief Fund des Global Fund ­– auch wenn, wie Yadav bemängelt, durch den aufwendigen bürokratischen Prozess die dringend benötige Hilfe erst mit großer Verspätung ankam. „Bei der zweiten Corona-Welle lief das deutlich besser und schneller.“

Sorgen bereitet jedoch die aktuelle Entwicklung der Tuberkulose-Todesfälle. Wie aus dem aktuellen Globalen Tuberkulose-Bericht der WHO hervorgeht, ist deren Zahl 2020 zum ersten Mal seit mehr als einem Jahrzehnt wieder gestiegen, und zwar auf bis zu 1,5 Millionen. Ein Trend, der sich 2021 noch verstärken dürfte. Erschwerend kommt hinzu, dass im Jahr 2020 nur noch 5,8 Millionen Menschen mit Tuberkulose diagnostiziert und behandelt wurden. Im Vorjahr waren es noch 7,1 Millionen.

Auch in Indien wurden die Behandlungsmöglichkeiten durch die Corona-Pandemie deutlich erschwert. Infolge des Lockdowns hatten insbesondere Tagelöhner*innen kaum mehr Arbeit gefunden und mussten notgedrungen zurück in ihre Heimatdörfer oder in andere Regionen ziehen.

Dadurch, erklärt Gautam Yadav, habe sich der Kontakt zu Arbeitsmigrant*innen, die in Delhi eine Tuberkulose-Behandlung erfuhren, verloren. Die Therapien wurden so wahrscheinlich unter- oder sogar ganz abgebrochen. Dennoch gelang es jenen, die sich bei den Hilfseinrichtungen meldeten, an ihrem neuen Aufenthaltsort die nächstgelegene Behandlungsmöglichkeit ausfindig zu machen und zu einer Fortsetzung der Behandlung zu verhelfen.

„Der positive Effekt dieser Ausnahmesituation war, dass die einzelnen Communitys wie Sexarbeiter*innen, LGBT oder Drogengebraucher*innen sich gemeinsam dieser großen Aufgabe gewidmet haben“, erzählt Gautam Yadav. Möglich wurde dies nicht nur durch das

Engagement vieler Menschen in den Organisationen, sondern auch durch die Strukturen und Netzwerke, die sich auch in dieser Notlage bewährten. Und die nicht zuletzt Dank der Unterstützung des Global Fund über die Jahre hinweg fortentwickelt werden konnten.

Interview mit Gautam Yadav, LGBT- und HIV-Aktivist und Sprecher des Global Fund Advocates Networks, Oktober 2021 mit dem Aktionsbündnis gegen AIDS zur Konferenz anlässlich des Welt-Aids-Tags am 01.12.2021 „Global Health Champion Deutschland?! Von HIV zu SARS-CoV-2 – Was haben wir (nicht) gelernt?“

Registrierung für die Konferenz „Global Health Champion Deutschland?! Von HIV zu SARS-CoV-2 – Was haben wir (nicht) gelernt?“ hier

Aktionsbündnis gegen AIDS, 2024