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Noch 6 Tage bis zur Bundestagswahl

Wahlprüfsteine: Aussagen der Parteien zu geistigen Eigentumsrechten und den sog TRIPS-Waiver

Am 26. September findet die Bundestagswahl statt. Für die zukünftige Ausrichtung der neuen Bundesregierung ist die Zusammensetzung im Bundestag und wer den/die künftige*n Bundeskanzler*in stellen wird, von entscheidender Bedeutung – dies definiert auch, welcher Stellenwert dem Thema HIV und der globalen Gesundheit zukommt. Wir werden an dieser Stelle in den kommenden Wochen bis zur Bundestagswahl die Antworten der im Bundestag vertretenen demokratischen Parteien zu unseren Fragen vorstellen. Wir freuen uns, wenn unsere Zusammenstellung der Wahlprüfsteinen ihre Verbreitung finden und zur politischen Willensbildung beitragen.

Unsere siebte Frage zu Bewertung und Stellenwert geistiger Eigentumsrechte und den sog TRIPS Waiver lautete:

„Gemeinsam mit der WHO fordern über 100 nationale Regierungen die EC und die EU-Mitgliedstaaten auf, ihre Blockadehaltung gegenüber der „TRIPS-Waiver“-Initiative in der WTO zu beenden. Welche Haltung hat Ihre Partei gegenüber der deutschen Blockadehaltung?“

Rückmeldung Bündnis 90/Die Grünen

„Wir GRÜNE haben die ablehnende Haltung Deutschlands kritisiert. Wir wollen, dass international alle Maßnahmen ergriffen werden, die einen schnellstmöglichen Zugang insbesondere zu bezahlbaren Generika ermöglichen. Dies soll insbesondere, wenn auch nicht ausschließlich, durch die vollumfängliche Anwendung der im Welthandelsrecht (WTO, TRIPS-Abkommen) festgeschriebenen sogenannten TRIPS-Flexibilitäten zum Schutz und der Förderung der öffentlichen Gesundheit erreicht werden. In Freihandelsabkommen der EU dürfen keine so genannten TRIPS+-Bestimmungen, wie beispielsweise verlängerte Patentlaufzeiten oder Datenexklusivität, festgeschrieben werden. Medikamente und Impfstoffe müssen in allen Ländern erschwinglich und zugänglich sein, das Patentrecht muss entsprechend flexibel sein. Monopole auf geistiges Eigentum zur Bekämpfung von Krankheiten dürfen den Zugang zu überlebenswichtigen Schutzmaterialien, Impfstoffen und Arzneimitteln nicht versperren.“

Rückmeldung CDU/CSU

Die Partei verweist zum widerholten Mal auf ihre Antwort auf unsere zweite Frage. Dort heißt es:

„Wir werden das Tempo für die Entwicklung neuer, innovativer Medikamente erhöhen, indem wir einheitliche Vorgaben schaffen – etwa beim Datenschutz, bei länderübergreifenden Studien oder der Einführung von Musterverträgen für klinische Prüfungen. Der Aufbau einer Impfstoffproduktion erfordert allerdings hohe Investitionen in Material und Fachkräfte. Ohne Aussicht auf Patentschutz wären private Unternehmen nicht bereit, dieses Risiko zu tragen. Deshalb treten CDU und CSU dafür ein, dass in Deutschland auch weiterhin der Patentschutz gilt. Hierin sehen wir einen Anreiz, die Forschung und Entwicklung von Impfstoffen voranzubringen und Produktionskapazitäten sicherzustellen. Das zeigen auch zahlreiche Kooperationen und Lizenzvereinbarungen der Hersteller weltweit und die hohe Steigerung der Produktionsmengen im Lichte der Corona-Pandemie. Damit auch ärmere Staaten ihre Bevölkerung mit Impfstoff versorgen können, unterstützt Deutschland bislang die multilaterale Forschungs- und Finanzierungsplattform (ACT-A) mit 2,2 Milliarden Euro. Die Impfstoffplattform COVAX erhält mit rund einer Milliarde Euro einen großen Teil des Beitrages. Damit ist Deutschland nach den USA zweitgrößter Geber und trägt maßgeblich zum Erfolg der Initiative bei“

Rückmeldung DIE LINKE

„DIE LINKE hat schon vor der Zulassung der COVID-Impfstoffe die Freigabe der Patente gefordert. Dafür hätte die Weltgemeinschaft auf Ebene der Welthandelsorganisation diese Rechte aufkaufen oder gegebenenfalls bei angemessener Entschädigung auch gegen den Willen der Inhaber an sich bringen müssen. Nur so wäre es möglich gewesen, die Preise fair zu kalkulieren und den Zugang in allen Teilen der Welt durch den Aufbau weiterer Produktionsstäten zu sichern. DIE LINKE hat scharf kritisiert, dass die Bundesregierung nicht einmal in dieser globalen Krisensituation bereit ist, vom Dogma der kommerziellen Arzneimittelpatente Abstand zu nehmen und den TRIPS-Waiver zu unterstützen – und das in einer Zeit, in der sich die reichen Staaten fast den gesamten verfügbaren Impfstoff selbst gesichert haben. So bleibt der globale Süden auf die Gutmütigkeit der reichen Staaten und der Konzerne angewiesen und wird weiter in Abhängigkeit gehalten. Das ist das Gegenteil von internationaler Solidarität“

Rückmeldung FDP

„Wir Freie Demokraten fordern mehr Anstrengungen für Innovationen bei Arzneimitteln, Medizintechnik und Digitalisierung, denn das benötigen wir für ein gutes Leben und für zukunftsfähige Arbeitsplätze. Sie müssen ein Schwerpunkt in der Forschungsförderung sein, mit unbürokratischer Vergabe von Fördergeldern, gerade an Start-ups. Besonders die Biomedizin birgt ein großes Potential – zum Beispiel mit Gentherapien oder regenerativer Medizin. Daher setzen wir uns in diesen Schlüsseltechnologien für offenere und innovationsfördernde Rahmenbedingungen ein. Die innovative Vernetzung von Start-ups mit dem Gesundheitswesen über alle Phasen der klinischen Entwicklung hinweg, die Förderung von Kooperationen zwischen Krankenkassen, Wissenschaft und Industrie sowie der Ausbau von Hightech-Gesundheitsmedizin am Standort Deutschland sind Treiber einer optimalen Patientenversorgung. Damit private Investitionen mobilisiert werden, muss geistiges Eigentum im Patentrecht strikt geschützt bleiben, auch bei Arzneimitteln für seltene Erkrankungen“

Rückmeldung SPD

„Impfstoffe sind das wichtigste Mittel zur Eindämmung der Covid-Pandemie. Eine zeitweise Aufhebung der Patentrechte kann dafür sorgen, dass die Produktion dieser lebenswichtigen Güter auf den globalen Süden ausgeweitet werden kann. Aktuell limitieren die begrenzten Herstellerkapazitäten eine weltweite Versorgung mit Covid-19-Impfstoffen, Arzneimitteln und Diagnostika. Unser Ziel muss es sein, weltweit große Teile der Bevölkerung gegen das Virus zu immunisieren, um Mutationen des Virus vorzubeugen, denn die Pandemie bleibt eine globale Herausforderung. Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt ausdrücklich, dass die USA und Europa ihren Widerstand gegen den Antrag Indiens und Südafrikas, den sogenannten TRIPS-Waiver, aufgegeben haben oder sich zumindest gesprächsbereit zeigen. Der Antrag fordert, die Patentrechte für die Zeit der Pandemie aufzuheben. Eine befristete Lockerung des Patentrechts bietet die Chance, die Produktionskapazitäten weltweit schnell auszubauen“

Unsere Rückmeldung zu den gegebenen Antworten

Drei der befragten Parteien begrüßen den Waiver Vorschlag, zwei der sich nicht in Regierungsverantwortung befindlichen Parteien kritisieren, teilweise scharf, die Haltung der Bundesregierung gegenüber dem TRIPS Waiver Vorschlag. Die dritte Partei mit einer eher positiven Haltung vermeidet eine Kritik an der Haltung des  Koalitionspartners, begrüßt aber ausdrücklich die veränderte Haltung der USA.  Die Parteien in Regierungsverantwortung äußern sich unterschiedlich: eine Partei verteidigt die Blockadehaltung mit der bekannten argumentativen Dreiklang aus a) Belohnung der Unternehmen für eingegangene Risiken, sowie den Anreiz durch Patentschutz für b) Forschung und c) Entwicklung. Eine sich nicht in Regierungsverantwortung befindende Partei geht noch weiter, indem sie sich festlegt, dass der Patentschutz strikt erhalten bleiben müsse: als Schlüsselwörter werden genannt: Forschungsförderung, unbürokratische Vergabe von Fördergeld (gerade für Start-ups), zukunftsfähige Arbeitsplätze, der Ausbau von High-Tech Gesundheitsmedizin etc. Die Konsequenz dieser industriefreundlichen Position mit - als Resultat - Millionen von Toten weltweit, findet in dieser Argumentationslinie keine Berücksichtigung. Ganz im Gegenteil: Patentschutz müsse auch,  so die oben genannte Partei, bei Arzneimitteln für seltene Erkrankungen gelten. Erfreulicherweise gibt es auch gegenteilige Aussagen. Eine Partei hebt hervor, dass die TRIPS Flexibilitäten besser ausgeschöpft werden müssen. Der Zugang zu bezahlbaren generischen Medikamenten müsse hergestellt werden, zudem sei darauf zu achten, dass die sog. TRIPS+ Bestimmungen, welche u.a. verlängerte Laufzeiten der Patente ermöglichten, durch Freihandelsabkommen nicht ausgehöhlt werden. Dass der Patentschutz Abhängigkeiten des globalen Südens verfestige und deshalb das komplette Gegenteil globaler Solidarität ist, wird von einer weiteren Partei festgehalten.  

Aktionsbündnis gegen AIDS, 2024