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Bericht vom 48. virtuellen UNAIDS Board Meeting (PCB)

Russische Föderation auf Konfrontationskurs

Winnie Byanyima Screenshot aus dem Meeting

Vom 28.06.21 bis zum 02.07.21 fand das 48. virtuelle UNAIDS PCB Meeting statt. Peter Wiessner nahm für das Aktionsbündnis gegen AIDS als zivilgesellschaftlicher Beobachter an dem Treffen teil. Dieser Bericht stellt die subjektive Auswahl einiger der während des Treffens diskutierten Themen und der dabei beobachteten Vorgänge dar. Ein zusammenfassender abgestimmter Bericht wird durch UNAIDS zum nächsten Treffen im Oktober verfasst werden und dann zur Verabschiedung vorgelegt.

Auf der Agenda standen die Annahme des Berichts der 47. UNAIDS Sondersitzung zur globalen AIDS-Strategie 2021-2026, UNAIDS-interne Prozesse und Governance Fragen (Bericht der Direktorin, Updates zu Haushalt, Mitarbeiterzufriedenheit), sowie Berichte zu Programmentwicklung in den Bereichen HIV, Migration und mobile populations, HIV und Gebärmutterhalskrebs, sowie, als thematisches Segment, COVID-19 und ein Update zu den Auswirkungen auf globale HIV-Programme. Die Links zu relevanten Präsentationen finden sich im Anschluss an den Bericht. 
 
Virtuelle Treffen und deren Auswirkung auf Begegnung, Einfluss und die Begrenzung von Hemmschwellen

Die während des Treffens anwesenden Beobachter*innen der Zivilgesellschaft tauschen sich während des PCB Meetings regelmäßig mit den Mitgliedern der NGO Delegation aus, um Beobachtungen zusammenzutragen und sich über Strategien und mögliche Sprechpunkte der Zivilgesellschaft auszutauschen. Diese Möglichkeit ist bei virtuellen Treffen deutlich begrenzt und wurde während dieses Treffens durch die Etablierung einer WhatsApp-gruppe gemildert.  Neben den, bei den Board Meetings vertretenen Ländern und Stimmrechtsgruppen – viele Länder schließen sich zu Stimmrechtsgruppen zusammen bei der der Input gemeinsam abgestimmt und von jeweils einem*r Vertreter*in vorgetragen wird – haben auch die Vertreter*innen der NGO Delegation und Beobachter*innen das Recht ihre Stimme in den Diskussionsprozess einzubringen, haben jedoch, im Unterschied zum Globalen Fonds, kein Stimmrecht. Einige Staaten (in den vergangenen Jahren vor allem Russland, Iran und Indien) ist sehr daran gelegen, dass das auch so bleibt. Bestrebt wird – immerhin handelt es sich bei UNAIDS um ein Programm der Vereinten Nationen – eine weitere Minimierung der Einflussmöglichkeit der Zivilgesellschaft, deren Anwesenheit als wenig hilfreich und störend empfunden wird. Der Stellenwert der Zivilgesellschaft in der Bekämpfung von HIV – ein Kernelement der globalen AIDS-Strategie – wird durch diese Staaten komplett negiert. 

Ein wirkliches Handicap von virtuellen Treffen ist, dass ein realer Austausch nicht stattfindet: Emotionen werden nur begrenzt wahrgenommen – wie Interventionen aufgenommen werden, kann nur teilweise erfasst werden. Das betrifft auch die Teilnehmenden der Zivilgesellschaft, deren Interventionsmöglichkeiten entsprechend begrenzt sind. Auch scheint die semi-reale Begegnung gegenseitige Achtung und Hemmschwellen, sowie den Sinn für Gemeinsamkeit zu senken: die Impertinenz und Unnachgiebigkeit und Störungen, mit der sich vor allem die Vertreter*innen Russlands während des Treffens hervorgetan haben, lässt sich möglicherweise zum Teil daraus erklären.

Vom UN HLM VON HIV zum PCB: Russland auf Crashkurs 

Bereits während des im UN HLM on HIV im Juni – bei der die globale HIV-Strategie mit der Verabschiedung einer Deklaration angenommen wurde – hat Russland deutlich gemacht, wie weit es zu gehen bereit ist, indem es eine Abstimmung einforderte und dadurch eine einstimmige Annahme verweigerte, ein bis dahin einmaliger Prozess, der deutlich werden lässt, wie prekär die globale Solidarität in Bezug auf den HIV-Response in Wirklichkeit ist: dass Russland bei der UN Vollversammlung nur drei weitere Staaten auf seine Seite ziehen konnte, darunter seine Vasallenstaaten Belarus und Syrien, lies deutlich werden, wie isoliert sich das Land inzwischen hat. 

Bedauerlicherweise zieht die Führung des Landes daraus keine Lehren, sondern agierte während des PCB-Meetings weiter: So wurde die Annahme des Berichts von dem letzten Sondertreffen über Tage verzögert: Russland forderte, dass die einstimmige Annahme des Berichts (adoption) umgewandelt wird in „nimmt zur Kenntnis“ (takes note): das PCB den Bericht des letzten Treffens also nicht annehmen, sondern nur zur Kenntnis nehmen. Das mag sich wie Wortklauberei anhören, betrifft aber diplomatische Gepflogenheiten und trifft im Kern die Kooperation der Staatengemeinschaft. Auch nach Intervention des Vorsitzenden des Treffens, durch den Gesundheitsminister Namibias, bei der Russland an diplomatische Gepflogenheiten erinnert und dargestellt wurde, dass inhaltliche Differenzen während des Treffens ausgehandelt werden bzw. wurden, dass diese durchaus im Bericht reflektiert seien und dass die Frage der Annahme des Berichts kein Weg sei, das „Fass“ um inhaltliche Differenzen noch einmal aufzumachen, lies Russland nicht zum Einlenken bewegen. 

Die Diskussion darum ging über mehrere Tage und kostete Stunden, die für Möglichkeiten des Austauschs zur Weiterentwicklung von UNAIDS und der globalen HIV-Strategie hätten genutzt werden können. Russland behauptete bis zum Schluss, dass seine Einwände nicht reflektiert worden seien und erzwang durch seine unnachgiebige Haltung erneut eine Abstimmung. Es verweigerte als einziges Land die Zustimmung des Berichts. Neben der Isolation Russlands, der bedrohten Solidarität, drückt sich dadurch auch eine Verachtung gegenüber diplomatischen Prozessen, der Arbeit von UNAIDS, sowie gegenüber anderer Meinungen und Diskussionsprozessen aus: das Land befindet sich in seiner Antwort auf HIV im Crash-Kurs mit dem UNAIDS und der restlichen Staatengemeinschaft – es ist schwer vorzustellen, wie eine weitere Kooperation mit Russland unter dem Dach von UNAIDS – immerhin die Koordinierungsstelle der HIV-Programmen der Vereinten Nationen – sinnvoll gestaltet werden kann. 
Das betrifft Möglichkeiten der Kooperation hat aber auch Auswirkungen auf Wahrnehmung insgesamt: Russland ist dabei, sich in seine eigene Parallelwelt einzurichten, mit alternativen Fakten und Wahrnehmungen, vergleichbar der unter Ex-Präsident Trump. In zahlreichen Interventionen (bspw. zu den Erfolgen der HIV-Prävention in Russland, der Einbindung von Migrant*innen in staatliche Programme, des Zugangs zu COVID-19 Hilfsmitteln, der Definition von Schlüsselgruppen etc.), die man von außen betrachtet nur als schlichtweg gelogen betrachten kann (und von Mitgliedern der Zivilgesellschaft des PCB Meetings auch als solche bezeichnet werden). Die Vehemenz mit der diese Lügen während der UNAIDS PCB-Treffen vertreten werden hat seit dem UN HLM zu HIV noch einmal zugenommen: Quo vadis, Russland? Was ist die, sich dahinter verbergende, politische Agenda? Wie hoch ist der Preis an Menschenleben, sollte sich die Einrichtung in alternative Realitäten fortsetzen? Noch immer hat Russland eine der höchsten HIV-Neuinfektionsraten weltweit, 99 % aller Neuinfektionen des Landes finden unter den Schlüsselgruppen (bspw. MSM, Drogengebrauchende, Sexarbeiter*innen) und deren Sexpartner*innen statt. Eine Feststellung, deren Richtigkeit durch Russland verneint wird: man beharrt darauf Schlüsselgruppen selbst zu definieren: die Konzentration auf die Bedarfe dieser Gruppen durch UNAIDS und andere Staaten, die Menschenrechtsagenda seien das eigentliche Problem... 
  
Neben der Politik ging es bei dem Treffen, man möchte beinahe sagen: „am Rande“, auch um HIV und AIDS. Winnie Byanyima, UNAIDS Direktorin, gab ein Update über die Arbeit von UNAIDS, den neuen Statistiken, die zum UN HLM veröffentlicht wurden, der Auswirkung von COVID-19 auf die HIV Arbeit auf globaler Ebene, die Hervorhebung und Unterstützung der Bestrebungen von ACT-A, der Herstellung eines freien Zugangs zu Impfstoffen – unsere Kanzlerin würde sagen: „Impfstoffe als globales, öffentliches Gut“ – die Unterstützung dieser Forderungen durch einzelne Akteure, ehemalige Staatsmänner und -frauen, Wissenschaftler*innen, Nobelpreisträger*innen, des Dalai Lama etc. -, die globalen Herausforderungen von COVID-19 für die Erreichung des nachhaltigen Entwicklungsziele, die Kernthemen der globalen AIDS Strategie (Equity, Zugangsfragen, Orientierung an den Bedarfen der Zielgruppen und Einbindung der Communities etc.), gefolgt von Berichten zu internen Managementfragen mit unterschiedlichen Aspekten der Arbeit von UNAIDS, Zufriedenheit am Arbeitsplatz, Managementfragen, der Aufarbeitung der Themen in Bezug auf sexual harassement etc. 

Die Erwähnung des Dalai Lama und die Benennung der von HIV betroffenen Schlüsselgruppen

Während des Austauschs zu den Ausführungen von Winnie Byanyima ist vor allem die Reaktion Chinas in Erinnerung geblieben. Der Vertreter des Landes beschwerte sichtlich erzürnt minutenlang darüber, wie Byanyima es wagen könne während der Sitzung den Dalai Lama zu benennen, der doch, so offensichtlich, Aufständische innerhalb Chinas Staatgrenzen fördere. Es sei in UN-Gremien gänzlich unüblich Nicht-Staatsmänner und -frauen in gleichem Atemzug mit Vertreter*innen von Staaten zu benennen: große Politik, auch hier! Die Courage und Freiheit, die sich die UNAIDS Direktoren Byanyima herausnimmt ist begrüßenswert. Darin drückt sich auch die Sonderstellung aus, die das UN-Programm, nach wie vor, genießt: eine Sonderstellung unter Beschuss. 
Die Möglichkeit der Teilhabe und die Hochschätzung der Zivilgesellschaft ist ein Ausdruck dieser Sonderstellung und als solche eine Provokation für Staaten, die Zivilgesellschaft und ihre von HIV betroffenen Schlüsselgruppen als Bedrohung ihrer Autorität wahrnehmen, sie ignorieren und am besten auch in Gremien ausgrenzen möchten. Während interner Diskussionsrunden zu der Annahme des Berichts des letzten UNAIDS PCB Meetings, versuchte Russland eine Fußnote bei jeder Erwähnung des Begriffs „Schlüsselgruppen“ durchzusetzen, dass es sich dabei um Gruppen handele, wie sie durch jeden Staat selbst zu definieren seien: „Schlüsselgruppen, à la carte“, sozusagen.  Das mag sich absurd anhören, verdeutlicht jedoch gut, wie sehr Kernelemente des UNAIDS Programms und der globalen HIV-Arbeit unter Beschuss sind: neben der Teilhabe der Zivilgesellschaft und der durch sie vertretenen Schlüsselgruppen an Diskussionsprozessen geht es auch die komplette Verleugnung der Existenz dieser Gruppen. Die Räume für zivilgesellschaftliches Engagement werden enger: „shrinking spaces“.

Gebärmutterhalskrebs und HIV

Während des letzten Tags des UNAIDS PCB Meetings gab es eine interessante Diskussion zu HIV und Gebärmutterhalskrebs, die verdeutlichte, wie sehr die Auswirkungen von Gebärmutterhalskrebs, auch als AIDS-definierende Erkrankung, ungleich verteilt sind: Dass 90 % aller Gebärmutterhalskrebs assoziierten Todesfälle aus Ländern niedrigen und mittleren Einkommens kommen, ist schlichtweg schockierend und verdeutlicht das Ausmaß der Ungleichheit in Bezug auf Zugang zu Diagnostik und auf Medikamente. UNAIDS berichtet von der Förderung integrativer Programme durch den Globalen Fond und PEPFAR: da das Risiko von Gebärmutterhalskrebs für Frauen mit HIV deutlich erhöht ist, muss es darum gehen Screening-, Impf- und Behandlungsprogramme für Krebs in bereits existierende HIV-Programme aufzunehmen, auch um Doppelstrukturen (und Kosten) zu vermeiden.
 
Dass die gleichen Voraussetzungen auch für COVID-19 Programme gelten, versteht sich von selbst. Durch entsprechende Programme wird ein erheblicher Beitrag zur Stärkung von Gesundheitssystemen geleistet. Insgesamt eine Entwicklung in die richtige Richtung, die Argumente entkräften, wonach es sich HIV-Programmen lediglich um „vertikale“ Programme handle, wenig adäquat in Zeiten von UHC (Universal Health Coverage) und „horizontaler“ – in die Breite gehende – Ansätze. 

Auch hier helfen Ideologien nicht wirklich weiter: anstatt der Begrifflichkeit von „vertikal“ zur Bezeichnung und Programmen und Ansätzen einzuführen, würde ich gerne die Begrifflichkeit „people-centered“ oder „community-centered“ vorschlagen. Denn letztendlich geht es um Menschen, oder etwa nicht? 

Weiterführende Links:

Peter Wiessner
Aktionsbündnis gegen AIDS
wiessner@aids-kampagne.de
Juli 2021
 

Aktionsbündnis gegen AIDS, 2024