Sie sind hier

  1. Start
  2. Aktuelles
  3. Weltweiter Austausch

Weltweiter Austausch

Vom 6. bis 10. Juli 2020 fand zum 23. Mal die durch die International AIDS Society ausgerichtete Welt-AIDS-Konferenz „AIDS2020“ statt. Die Konferenz war ursprünglich in den Städten San Francisco und Oakland geplant. Aufgrund der COVID-19-Pandemie wurde sie virtuell umgesetzt. Die Welt-AIDS-Konferenz ist traditionell vor allem ein Treffen der globalen HIV-Community. Im Mittelpunkt der Diskussionen stehen die Bedarfe der Menschen mit HIV und der durch HIV beeinträchtigten Gruppen und Communities.

 Als vor zwei Jahren die USA als Konferenzort bekannt gegeben wurde, führte das zu erheblichem Aufruhr in großen Teilen der globalen HIV-Community. Der International AIDS Society (IAS) wurde vorgehalten, durch den Konferenzort grundlegende Prinzipien der bisherigen Arbeit zu ignorieren: Bislang achtete die IAS bei der Auswahl des Konferenzortes immer darauf, dass das austragende Land die Teilnahme der Menschen mit HIV und der durch sie vertretenen Communities auch ermöglicht. Dies sah man aufgrund der Veränderungen durch die US-Regierung unter Donald Trump nicht mehr gewährleistet. Denn diese diskriminiert bewusst Menschen aus nahöstlichen Ländern durch entsprechende Einreiseverbote, kriminalisiert Drogengebrauchende1 und Sexarbeiter*innen2 und zudem steigen homophobe Tendenzen3 . Warum eine Konferenz in einem Land ausrichten, welche die Einreise von Menschen mit HIV erschwert, sie dadurch aktiv diskriminiert und deren Sicherheit gefährdet? Aktivist*innen erinnerten an die 1980er-Jahre, in denen aufgrund existierender Einreiseverbote für Menschen mit HIV die Konferenz bewusst nach Amsterdam verlegt wurde und erst nach der Abschaffung dieser Restriktionen wieder in den USA stattfinden konnte.

AIDS2020 und HIV2020

Nachdem keine Einigung über den Veranstaltungsort erzielt werden konnte, entschieden sich unterschiedliche Netzwerke betroffener Communities zur Ausrichtung einer alternativen Konferenz in Mexiko, um die Teilnahme von allen Gruppen uneingeschränkt zu fördern: Die Konferenz HIV2020, welche aus den bekannten Gründen nun auch virtuell stattfindet, wird bis 23. Internationale Welt-AIDS-Konferenz 2020 Oktober 2020 an unterschiedlichen Tagen online umgesetzt. Es ist bedauerlich, dass in der Berichterstattung zur Welt-AIDSKonferenz kaum auf diesen Disput eingegangen wurde. Eine offene Diskussion dieser Fragen könnte dazu beitragen, ähnliche Fehler in Zukunft zu vermeiden. Kein Mensch braucht eine Konferenz für Communities, an der diese nicht teilnehmen können. Gleichzeitig kann ein weiteres globales Phänomen beobachtet werden: „Shrinking Spaces“ – ein englischer Begriff, der die immer kleiner werdenden Handlungsspielräume und Möglichkeiten der Teilhabe der Zivilgesellschaft beschreibt. Dies ist insofern problematisch, da die Repräsentation gesellschaftlicher Meinungsbilder eingeschränkt wird.

Konferenzthema Resilienz

Das Motto der diesjährigen Konferenz AIDS2020 ist gut gewählt. Mit Resilienz wird die Fähigkeit bezeichnet, aus Krisen gestärkt hervorgehen zu können. Eine psychisch-physische Widerstandsfähigkeit wird in vielen Fällen nur möglich sein, wenn auf persönliche oder auch finanzielle Ressourcen und Strukturen zurückgegriffen werden kann. Für Menschen mit HIV betrifft das persönliche Ressourcen, aber auch Hilfsstrukturen, die sie sich geschaffen haben oder die für sie geschaffen wurden. Der Begriff Resilienz wird sowohl für den persönlichen Umgang mit Herausforderungen und Krisen als auch für Gesundheitssysteme und Organisationen angewandt, welche ausreichend finanziert werden müssen, um ihre Tätigkeiten fortführen zu können.

Umsetzung der 90-90-90-Ziele im Schatten von Corona

Was sind die 90-90-90-Ziele? Damit bis 2030 niemand mehr an Aids erkranken muss, wollten die Vereinten Nationen bis 2020 die 90-90-90-Ziele erreichen: 90 Prozent aller Menschen mit HIV sollen über ihren HIV-Status Bescheid wissen. 90 Prozent der Menschen mit einer HIV-Diagnose sollen eine lebensrettende antiretrovirale Therapie machen. Und 90 Prozent der Menschen, die unter Therapie stehen, sollen eine Viruslast unter der Nachweisgrenze haben, sodass HIV auch beim Sex nicht mehr übertragen werden kann. Dass dies nur erreicht werden kann, wenn die Diskriminierung von Menschen mit HIV beendet ist, ist offensichtlich. Wie steht es um die 90-90-90- Ziele derzeit? AIDS2020 bot einen guten Überblick über den derzeitigen Stand der Entwicklung der HIV-Epidemie und eine erste Einschätzung der Auswirkungen durch COVID-19. Durch die Überlastung der Gesundheitssysteme und des Personals ist eine Erhaltung, geschweige denn eine Verbesserung der medizinischen und seelischen Versorgung von Menschen, die mit HIV leben, undenkbar. Es sind vermehrte Anstrengungen nötig, um die Zielsetzung in den nächsten Jahren zu erreichen. Jedoch muss an dieser Stelle erwähnt werden, dass die durch die Staatengemeinschaft vereinbarten 90- 90-90-Ziele auch ohne Corona nicht erreicht worden wären. Die globale HIV-Statistik von UNAIDS schätzt in den neuesten zur Verfügung stehenden Daten, dass weltweit 38 Millionen Menschen mit HIV leben. Noch immer haben 12,6 Millionen Menschen keinen Zugang zu einer lebensrettenden HIV-Therapie. In 2019 infizierten sich 1,7 Millionen Menschen mit HIV, das sind drei Mal so viele wie ursprünglich vorgesehen. 62 Prozent der Neuinfektionen finden in den sogenannten Schlüsselgruppen4 statt, mit großen regionalen Unterschieden: In den Ländern Osteuropas erhöhte sich die Neuinfektionsrate seit 2010 um 72 Prozent, in den Ländern Südund Ostafrikas sank sie im gleichen Zeitraum hingegen um 38 Prozent. 690.000 Menschen sind in 2019 an Aids gestorben, das sind täglich 2.000 Menschen.

Eine Infektion der Armut und der Ungleichheit

Besonders problematisch ist die Situation für Menschen in Armutsregionen, wo durch fehlende Finanzierung oder prekäre Gesundheitssysteme und Versorgungsstrukturen keine HIV-Therapie zur Verfügung gestellt werden kann. Dies gilt vor allem für die Versorgung in Ländern, die Menschen mit HIV und die durch sie vertretenen Gruppen diskriminieren und kriminalisieren: 82 Länder kriminalisieren die Übertragung von HIV und die Nicht-Offenlegung des HIV-Status; 103 Länder kriminalisieren Sexarbeit; 108 Länder kriminalisieren Drogenbesitz oder Konsum; ca. 30 Länder deportieren Menschen mit HIV aufgrund ihres HIV-Status; ca. 50 Länder diskriminieren Menschen mit HIV bei Einreise und Aufenthalt und 76 Länder kriminalisieren LGBTI-Communities bis hin zur Todesstrafe. HIV ist eine Infektion der Armut und der sozialen Ungleichheit. COVID-19 verschärft die bereits existierende Notlage. Der Globale Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria berichtet aus 106 Ländern von Versorgungsengpässen für Menschen mit HIV aufgrund geltender Ausgangssperren und anderer Schutzmaßnahmen. Lieferketten für Diagnostik und Medikamente drohen zusammenzubrechen. UNAIDS berechnet, dass es bei einer halbjährigen Unterbrechung der HIV-Versorgung alleine in den Ländern Südafrikas zu 500.000 zusätzlichen Todesfällen kommen könnte. Rechnet man die Versorgung von Menschen mit Tuberkulose und Malaria mit ein, sind nach Angaben des Globalen Fonds 1,5 Millionen Menschen vom Tode bedroht. Würde dies eintreffen, wären laut UNAIDS zehn Jahre Errungenschaft und Fortschritt zunichtegemacht.5 Um COVID-19 global bekämpfen zu können, errechnet der Globale Fonds den Bedarf von zusätzlichen 28,5 Milliarden US-Dollar.6 Da bereits 2020 allein für HIV 7,6 Milliarden US-Dollar fehlen, sind das keine allzu rosigen Aussichten. So wird immer mehr deutlich, dass es verstärkte Anstrengungen der Staatengemeinschaft braucht, um die globalen Entwicklungsziele erreichen zu können. Das kann nur geschehen, wenn der von den Vereinten Nationen vereinbarte Richtwert von mindestens 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) für die Entwicklungszusammenarbeit eingehalten wird. Davon sollten nach den WHO-Empfehlung nicht weniger als 0,1 Prozent des BNE für den Aufbau von Gesundheitsdiensten in ärmeren Ländern bereitgestellt werden. 

Literatur

1 UNAIDS (2019): Health, Rights and Drugs – Harm reduction, decriminalization for people who use drugs; https://kurzelinks.de/UNAIDS-Drug-Report UNAIDS (2014): Gap Report; https://kurzelinks.de/Gap-Report-2014

2 The Center for HIV Law and Policy, National LGBTQ Task Force (2017): The Intersection of Sex Work and HIV Criminalization. An Advocate’s Toolkit; https://kurzelinks.de/Sex-Work-HIV-Toolkit

3 Southern Poverty Law Centre (2020): The Year in Hate and Extremism 2019; https://kurzelinks.de/Year-in-Hate-andEx...

4 Die sogenannten Schlüsselgruppen sind zum Teil länder- und regionsabhängig, umfassen aber traditionell Männer, die mit Männern Sex haben, Drogengebrauchende, Sexarbeiter*innen, Transsexuelle und z.B. Frauen in Subsahara-Afrika.

5 UNAIDS (07. Juni 2020): UNAIDS report on the global AIDS epidemic shows that 2020 targets will not be met because of deeply unequal success; COVID-19 risks blowing HIV progress way off course; https://kurzelinks.de/Covid-19-HIV

6 Global Fund (24. Juni 2020): Global Fund COVID-19 Report: Deaths from HIV, TB and Malaria Could Almost Double in 12 Months Unless Urgent Action is Taken; https://kurzelinks.de/Covid-19-Report

Aktionsbündnis gegen AIDS, 2024