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Interview Jeffry Acaba

Aus Angst, dass ihre Homosexualität bekannt werden könnte, trauten sie sich nicht, ins Krankenhaus zu gehen.

​Jeffry Acaba ist Programmbeauftrager von APCASO, einem zivilgesellschaftlichen Netzwerk Community-naher Organisationen und Nichtregierungsorganisationen im asiatisch-pazifischen Raum. Aufgewachsen auf den Philippinen, lebt er mittlerweile in Bangkok. Jeffry Acaba war Teil der NGO-Delegation im Koordinierungsgremium des UNAIDS-Programms und ist derzeit an der Entwicklung des Global Compact zur Eliminierung von HIV-Stigmatisierung und Diskriminierung beteiligt.

Jeffry Acaba, vor wenigen Jahren warst du auf dem besten Wege zum Anthropologen und  hast dich der wissenschaftlichen Feldforschung gewidmet. Heute arbeitest du für eine der größten NGOs im asiatisch-pazifischen Raum im Bereich von HIV und Gesundheit. Wie kam es zu dieser nicht gerade naheliegenden beruflichen Entwicklung?

Wie das im Leben oft so ist: Das eine greift ins andere. Ich bin gewissermaßen durch mein Studium zum Aktivisten geworden. Ich hatte an der Universität einen speziellen Studiengang zur Sozialentwicklung gewählt, mich dabei aber ganz besonders für den Bereich Anthropologie interessiert. In diesem Zusammenhang hatte ich an einer Feldstudie über eine indigene Volksgruppe auf den Philippinen teilgenommen. Zu erleben, dass ein Teil der Bevölkerung selbst zu den wichtigsten alltäglichen Dingen des Lebens keinen Zugang hat, war ein prägendes Schlüsselerlebnis für mich. Nach dem Studium habe ich mich dann in verschiedenen Lobbygruppen für die Rechte der indigenen Community eingesetzt.

Wie kam es, dass du dein Engagement auf ein ganz anderes Feld, nämlich HIV, verlagert hast?

HIV war in meinem persönlichen Umfeld mit einem Male zu einem drängenden Thema geworden, und damit hat sich alles verändert. Viele meiner schwulen Freunde, die meisten von ihnen ungeoutet und viele noch im Prozess der Selbstfindung, wurden schwer krank. Aus Angst, dass ihre Homosexualität bekannt werden könnte, trauten sie sich nicht, zu einem Arzt oder ins Krankenhaus zu gehen. Also wurden sie nicht behandelt und starben deshalb an den Folgen von Aids. Ich fragte mich deshalb, ob es nicht besser wäre, meine eigene Community zu unterstützen, deren Lebensumstände und Probleme ich bestens kenne, anstatt weit weg zu reisen, um dort anderen zu helfen. 2007 habe ich dann mit der Peer-Education begonnen und HIV-Aufklärung und -beratung gemacht. Und dann wurde HIV Teil meines eigenen Lebens.

Was bedeutet?

Ich wurde selbst mit HIV diagnostiziert. Das mag überraschend und komisch klingen, dass jemand, der HIV-Aufklärung betreibt, sich selbst infiziert. Nun, ich war damals Anfang 20 und frisch verliebt. Und ich habe meinem Partner blind vertraut. Dass er HIV-positiv ist, hatte er mir erst nach der Trennung gesagt.  Ich habe das Testergebnis komplett verdrängt. Ich weiß, dass dies nicht ungewöhnlich und eine wichtige Phase für den Prozess ist, den HIV-Statuts zu akzeptieren. 2014, drei Jahre nach dem Testergebnis, bin ich dann an Tuberkulose erkrankt. Damit war dann auch der Zeitpunkt gekommen, mich um meine Gesundheit zu kümmern und nun auch eine HIV-Therapie zu beginnen. Und seitdem sind HIV und Tuberkulose zu wichtigen Themen meiner Arbeit geworden.

Welche Rolle spielt Tuberkulose in der Region?

Die Tuberkulose-Prävalenz ist in fast allen asiatischen Ländern sehr hoch, ganz besonders unter anderem in Kambodscha, Papua-Neuguinea oder auf den Philippinen. HIV-Infizierte in diesen Ländern erkranken fast unweigerlich irgendwann an Tuberkulose.

Du hast in deiner Arbeit einen Schwerpunkt auf Jugendliche und junge Menschen als besonders gefährdete Gruppe gelegt. Aus europäischer Perspektive ist dies ein überraschender Fokus. Warum ist es so wichtig der Altersgruppe der 15- bis 20-jährigen in der Prävention und Gesundheitsversorgung besondere Aufmerksamkeit zu widmen?

Für uns in Asien und im Südpazifik besteht eine große Dringlichkeit, unsere Arbeit speziell auf diese Bevölkerungsgruppe auszurichten. In dieser Altersgruppe beginnen die Menschen neugierig zu werden und sich sexuell auszuprobieren. Manchmal gehen sie dabei höhere Risiken ein, sich zu infizieren oder ihre Gesundheit zu gefährden. Es ist daher wichtig, sie frühzeitig darüber aufzuklären, denn ihre Eltern möchten in der Regel über Dinge wie Sexualität oder gar Drogenkonsum nicht mit ihnen sprechen. Oder sie wissen einfach nicht, wie sie ein solches Gespräch führen sollten. Sie beschützen freilich ihre Kinder über alle Maße. Sie werden auch sicherlich von sich behaupten, alles über ihre Kinder zu wissen und für alles Verständnis zu haben, was sie tun. Beides entspricht natürlich nicht der Realität.  Speziell auf den Philippinen wird jede dritte HIV-Neuinfektion bei jungen Menschen unter 24 Jahren diagnostiziert. In der Gesamtregion betreffen 80 Prozent der HIV-Neuinfektionen diese Altersgruppe. Diese Zahlen machen deutlich, wie wichtig es ist, die jungen Menschen viel stärker in den Fokus zu nehmen. Diese Generation wird darüber bestimmen, ob wir eine verbesserte Gesundheit erhalten und damit die Grundlage legen, unsere gemeinsamen Ziele bis 2030 zu erreichen.

Was macht es so schwer, über Sexualität zu sprechen und insbesondere sich gegenüber der Familie als schwul zu outen?

Dazu muss man wissen, dass Familien in Asien andere Strukturen haben als in Europa: Es sind riesige Verwandtschaftsgeflechte. Es genügt das Gerücht, jemand könnte schwul sein, und die Nachricht macht innerhalb kurzer Zeit die Runde. Das erhöht den Druck, das Geheimnis zu bewahren, gerade innerhalb von muslimischen Familien, die ihre Ehre nicht durch ein homosexuelles Familienmitglied geschädigt sehen wollen. Die betroffenen schwulen Jugendlichen und jungen Männer sehen sich einerseits der sozialen Stigmatisierung ausgeliefert und andererseits der Erfahrung durch eine mögliche Selbstakzeptanz ihrer sexuellen Identität die eigene Familie enttäuschen zu müssen. Das führt zu Verzweiflung und Frustration, zu Ängsten und Selbstzweifeln – und auch zu einem Verhalten, durch das sie sich einem erhöhtem Risiko etwa für eine HIV-Infektion aussetzen.

Das Gebiet, in dem sich APCASO als asiatisch-pazifische Organisation engagiert, ist immens groß. Es reicht von Australien, Indonesien und Indien bis Vietnam, Nepal und Sri Lanka. In welcher Form kann APCASO hier den nationalen Akteuren Unterstützung bieten?

Als APCASO 1998 gegründet wurde, verstand man sich als asiatisch-pazifischer Rat der HIV/Aids-Dienstleistungsorganisationen. 2015 haben wir uns umorganisiert. Wir fokussieren uns seitdem nicht mehr nur allein auf HIV als Erkrankung, sondern verstärkt auf die Menschen und ihre Bedürfnisse. Dazu gehört, Schlüsselgruppen mit erhöhtem HIV-Risiko zu mehr gesundheitlicher Selbstverantwortung zu mobilisieren und Selbsthilfe-Organisationen bei ihrem Aufbau zu helfen. Wir unterstützen sie beispielsweise dabei, institutionelle Förderung zu bekommen, wie etwa durch den Globalen Fonds. Außerdem fördern wir die Weiterbildung, um auch die fachlichen Ressourcen zu stärken.

Es geht also vor allem um eine strukturelle Unterstützung.

Richtig. Wir arbeiten mittlerweile mit 14 Organisationen in der Region zusammen. Wir ermöglichen ihnen, auch im internationalen Kontext zu agieren und sich Gehör zu verschaffen. Einen besonderen Stellenwert nimmt allerdings die Interessensvertretung im juristischen Bereich ein. Wir versuchen, was Gesetze und Richtlinien auf nationaler Ebene angeht, sicherzustellen, dass die Rechte und die Mitsprache der Hauptbetroffenengruppen gesichert sind und internationale Vereinbarungen bzw. Verpflichtungen eingehalten werden.

Bei dem, in 2016 stattgefundenen High-Level-Meeting der Vereinten Nationen zur Beendigung von AIDS in New York, wurden eine ganze Reihe an Zielen und Verpflichtungen formuliert, um Aids bis 2030 beenden zu können. Um die Verpflichtungen bei den Selbsthilfeorganisationen in der Region zu verbreiten, haben wir als APCASO die Vereinbarungen in einfach verständliches Informationsmaterial heruntergebrochen und in mehreren Sprachen veröffentlicht. Wir bieten Organisationen auch konkret Hilfe vor Ort an, etwa im Dialog mit den jeweiligen Regierungen und Behörden.

Wie können Nichtregierungsorganisationen, die im Feld der Gesundheitsvorsorge und Versorgung arbeiten, diese Situation verbessern, da doch wesentliche Ursachen auf grundsätzliche soziale und kulturelle Strukturen zurückzuführen sind?

Wer sich in diesem Feld engagiert, darf sich keine falschen Hoffnungen machen: Diese Veränderungen benötigen Zeit, viel Zeit sogar. Erfolge zeigen sich nicht über Nacht, manchmal dauert es Jahrzehnte. Allein schon, um bestimmte rechtliche Regelungen auf den Weg zu bringen, sind Jahre nötig. Und doch gibt es diese Erfolgserlebnisse. ESCAP, die Wirtschafts- und Sozialkommission für Asien und den Pazifik der Vereinten Nationen, hat Ziele und Verpflichtungen formuliert, um Aids bis 2030 zu beenden. Und bei diesen hatte man bis 2015 junge Menschen überhaupt nicht im Blick. Dort hatte man weder wahrgenommen, dass sich in dieser Bevölkerungsgruppe die HIV-Epidemie überdurchschnittlich ausweitet, noch, dass junge Menschen auch Drogen konsumieren, in der Sexarbeit tätig oder schwul sein können. 2015 gelang es uns bei einem Treffen von ESCAP jedoch, genau das auf die Tagesordnung zu setzen und das hat viel in Schwung gebracht. Heute, vier Jahre später, gibt es in vielen Ländern bereits speziell auf diese junge Altersgruppe ausgerichtete Programme. Beispielhaft sei Thailand genannt, wo Programme für MSM und Transgender eingerichtet wurden. Kambodscha und die Philippinen haben Gesetze verabschiedet, durch die nun auch HIV-Testungen bei Minderjährigen möglich wurden.

Fast überall auf der Welt erleben wir, wie die Menschenrechte gerade der von HIV betroffenen Bevölkerungsgruppen verletzt werden. Inwieweit beobachten Sie das auch in den Ländern des asiatisch-pazifischen Raums?

Wo soll ich da anfangen? (lacht). Ich möchte mich auf den wohl extremsten Fall konzentrieren:  die Ermordung vom Drogenanhängigen und Menschen, die als solche betrachtet werden, auf den Philippinen.

Offiziell gilt dieser Kampf der Drogenmafia und den Drogendealern.

Seit der philippinische Präsident Rodrigo Duterte seinen Drogenkrieg verkündet hat, hat sich diese Politik wie ein Brandfeuer auf die Region ausgeweitet. Die Regierung in Sri Lanka ist ein großer Fan von Rodrigo Duterte und möchte seine Strategie übernehmen. Nepal und Kambodscha haben ihre Sympathie für Duterte bekundet. Auch Thailand fällt in der Drogenpolitik wieder zurück auf eine martialische Rhetorik. Es ist sehr beunruhigend wie diese Form des Autoritarismus in unserer Region Zuspruch findet und sich ausweitet, und welche Zerrbilder von Drogengebraucher_innen verbreitet werden. Sie werden als das absolut Böse dargestellt, die deshalb auch keinerlei Unterstützung - ganz gleich, in welcher Form - zu erwarten haben.

Welche Strategie vermutest du hinter dieser Politik?

Es geht nicht in erster Linie darum den Drogenhandel zu unterbinden, dafür verdienen zu viele daran. In Wahrheit geht es um die Drogenabhängigen. In unserer Region sind dies die Ärmsten in der Bevölkerung, auch wenn natürlich auch in anderen sozialen Klassen konsumiert wird. Jene aber, die ermordet werden, leben in Armut, haben keine oder nur wenig Bildung erhalten und deshalb auch kaum Chancen auf Arbeit, die ihnen den notwendigen Lebensunterhalt ermöglicht. Mit dem sogenannten Drogenkrieg hat die Regierung einen Weg gefunden, wie sie diesen ungeliebten Teil der Bevölkerung loswerden kann. Das hat zur Folge, dass viele der Menschen, die Drogen nehmen, sich verstecken und in den Untergrund gehen, für Hilfsorganisationen also kaum  mehr erreichbar sind. Das ist umso enttäuschender, weil bevor dieser Krieg gegen die Drogen ausgerufen wurde, viele unserer Partnerorganisationen - unter anderem mit Mitteln des Globalen Fonds - beispielsweise Harm-Reduction-Programme einrichten konnten. Und in Folge dessen konnte die Community der Drogengebraucher_innen organisiert und damit die Menschen noch besser erreicht werden. Diese Verbindung zur Community wurde durch den Drogenkrieg schlagartig gekappt und es ist kaum mehr möglich, Hilfe anzubieten. Schlimmer noch: Menschen, die in der Drogenhilfe arbeiten, müssen um ihr Leben fürchten. Ich weiß beispielsweise von einem Mitarbeiter einer Organisation, der erschossen wurde, weil er Drogenabhängigen saubere Spritzen anbot. Er war also weder Dealer, noch selbst Drogenkonsument. Er hat einfach nur anderen geholfen, sich vor einer Infektion zu schützen.

Diese von der philippinischen Regierung angeordneten Mordaktionen geschehen ja nicht heimlich, sondern vor den Augen der Weltöffentlichkeit. Inwieweit siehst du internationale Organisationen und die Regierungen anderer Staaten in der Verantwortung, hier lautstark zu intervenieren?

Diese Entwicklungen bringen die Demokratie, wie wir sie schätzen gelernt haben, in eine äußerst kritische Lage. Gleichzeitig sehen wir das blinde Vertrauen in die Diplomatie, welche den Aufstieg des Totalitarismus erst möglich gemacht hat. Ich sehe daher nicht nur Regierungen anderer Staaten in der Verantwortung, sondern auch uns Nichtregierungsorganisationen. Wir sind glücklich darüber, dass es das UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR gibt und dass wir unsere Projekte verfolgen können. Aber wir sollten selbst viel mehr zur Einhaltung der Menschenrechte beitragen. Und dazu gehört auch, diese Rechte zu lehren. So hat der Globale Fonds etwa die Förderung der Hilfe zur Selbsthilfe wie auch von Schulungen zu Menschenrechten eingestellt - und damit erschwert, dass diese Selbsthilfe-Organisationen sich für den Schutz der Menschenrechte ihrer jeweiligen Community einsetzen. Entwicklungen wie wir sie auf den Philippinen erleben, sollten für uns alle ein Alarmruf sein; selbst auch für demokratischere Länder wie beispielsweise Deutschland.

Du erwartest also ein Umdenken beziehungsweise eine klare Stellungnahme der internationalen Gemeinschaft.

Es geht nicht einfach nur darum, Geld in einen Topf zu geben. Auch der Erhalt der Demokratie sollte von allen auf die Agenda gesetzt werden. Und das bedeutet, dass Geberländer auch ihre diplomatischen Beziehungen und ihren Einfluss nutzen, wenn autoritäre Politiker die Demokratie aushebeln – so wie wir es gerade auf den Philippinen und einigen anderen asiatischen Ländern erleben. Die Vereinten Nationen erleben gerade eine Art Reformierung und damit auch einige der Mitgliedstaaten. Wir sollten sicherstellen, dass die Rechte aller Menschen geschützt sind – egal, wer sie sind und wo sie leben. Es geht dabei um die Frage, was die einzelnen Mitgliedstaaten national als Regierung tun, und gleichzeitig um die gemeinsame Verantwortung aller Mitgliedstaaten als Weltgemeinschaft. Es ist meiner Ansicht nach sehr wichtig, die Prozesse sehr genau zu beobachten und zu reagieren, um nicht Fehler in der Geschichte zu wiederholen – gerade in dieser kritischen Situation des erstarkenden Kapitalismus sowie eines wachsenden Totalitarismus und Fundamentalismus.

Herzlichen Dank an Axel Schock, der das Gespräch führte und natürlich an Jeffry Acaba für die Bereitschaft daran teilzunehmen und an GFAN für die Unterstützung und Vermittlung, wodurch das Gespräch zustande kommen konnte.

Weitere Informationen:

Aktionsbündnis gegen AIDS

Rungestr. 19

10179 Berlin

https://www.aids-kampagne.de/

Email: info@aids-kampagne.de

Berlin, Oktober 2019

Hier können Sie auch das Interview als PDF herunterladen. 

Aktionsbündnis gegen AIDS, 2024