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„Kümmelhändler, Kameltreiber und Vielweiberei"

Ein Beitrag von Olaf Hirschmann, Sprecher des Aktionsbündnis gegen AIDS zur AfD und einer Abgrenzung gegen Rechts

Aktionsbündnis gegen AIDS, Rechtspopulismus, AfD, Rechtsradikalismus, HIV, AIDS,

Wer noch Zweifel an ihrem Menschenverachtenden Weltbild hatte, konnte bei der Aschermittwochsveranstaltung der AfD in Sachsen ihr wahres Gesicht sehen. Zwar wurde André Poggenburg, Vorsitzender der AfD Sachsen-Anhalt, für seine rassistischen Verunglimpfungen sämtlicher muslimischer Mitbürger_innen von seiner Partei offiziell abgemahnt, aber als er die kollektive Abschiebung ausländischer Mitbürger_innen forderte, tobten und applaudierten die ca. 1000 Menschen auf ihren Bierzeltbänken. Hier war man unter Gleichgesinnten und frönte schamlos der Schmähung politischer Gegner: „die da oben“ (Politiker_innen, Parteien, Kirchen, Medien, Wissenschaft), die Migranten_innen, Geflüchtete, Schwule und Lesben, der Islam und alles vermeintlich Fremde, was sich nicht in die völkische Leitkultur einfügt.

Wer noch Zweifel an ihrem Menschenverachtenden Weltbild hatte, konnte bei der Aschermittwochsveranstaltung der AfD in Sachsen ihr wahres Gesicht sehen. Zwar wurde André Poggenburg, Vorsitzender der AfD Sachsen-Anhalt, für seine rassistischen Verunglimpfungen sämtlicher muslimischer Mitbürger_innen von seiner Partei offiziell abgemahnt, aber als er die kollektive Abschiebung ausländischer Mitbürger_innen forderte, tobten und applaudierten die ca. 1000 Menschen auf ihren Bierzeltbänken. Hier war man unter Gleichgesinnten und frönte schamlos der Schmähung politischer Gegner: „die da oben“ (Politiker_innen, Parteien, Kirchen, Medien, Wissenschaft), die Migrant_innen, Geflüchtete, Schwule und Lesben, der Islam und alles vermeintlich Fremde, was sich nicht in die völkische Leitkultur einfügt.

Auch wenn sich die Mehrheit der Deutschen nicht vor den braunen Karren spannen lassen, die menschenrechtlich verwerflichen Inhalte werden Teil der öffentlichen Diskurse und durch Medien und Politik weitergetragen. Ausgegrenzt durch rechte Ideologien werden in vielen Fällen die für die HIV Arbeit besonders wichtigen Gruppen und „Lebenswelten“: LGBT Communities, Migrant_innen, Drogengebrauchende und Sexarbeiter_innen. In Ländern wie der Russischen Föderation, Polen oder Ungarn sieht man, welche negativen Auswirkungen es für gesundheitsfördernde Maßnahmen der von HIV am stärksten betroffenen Gruppen hat, wenn das gesellschaftliche Klima sich durch rechte Ideologien verändert. Als eine in den Bundestag gewählte Partei wird die AfD in Ausschüssen vertreten sein und noch mehr Möglichkeiten haben, den Diskurs zu bestimmen. Kommt es zu einer großen Koalition, werden sie die größte Oppositionspartei im Bundestag sein. Sie werden das erst-Rede-Recht und Zugang zu politischen Stiftungen haben. Aber nicht nur der politische Klimawandel wird unsere Arbeit behindern. Die AfD versucht gezielt, Zivilgesellschaft zu sabotieren. Anfragen nach Namens- und Mitgliederlisten von zivilgesellschaftlichen Organisationen, in Frage stellen von Förderungen, speziell von linken Organisationen und Selbsthilfegruppen, zielen auf die Zerstörung von zivilen Organisationsstrukturen ab. Ein Ignorieren und sich Nicht-Verhalten geht nicht mehr.

Wer aber wählt und unterstützt eine Partei, „die die Werte der Aufklärung verachtet, sowie alles, wofür Deutschland in der ganzen Welt geachtet und respektiert wird, die Erinnerungskultur ebenso wie die Vielfalt. Dazu gehören Bayern und Schwaben, aber auch Menschen mit Vorfahren aus Russland oder Anatolien, die stolz darauf sind, Bürger dieses Landes zu sein.“ (Cem Özdemir) Bei der letzten Bundestagswahl erreichte die AfD bundesweit 12,6% der Wählerstimmen. Gewählt wurde sie aber nicht nur in Sachsen. Zwar wurde die AfD vornehmlich von Männern im Osten Deutschlands und von Russlanddeutschen gewählt, im Schnitt von 30 bis 59-jährigen Arbeiter_innen und Angestellten, mit Hauptschulabschluss und mittlerer Reife. Aber es gibt sowohl einen negativen Zusammenhang: je geringer der Ausländeranteil, je höher das Ergebnis der AfD, als auch einen positiven: mit schrumpfenden Regionen. Je abgehängter eine Region, umso höher der AfD-Anteil. Kaum ein Zusammenhang findet sich mit dem Einkommen. So gibt es also keine „monokausale“ Erklärung für den erstarkenden Rechtsradikalismus. Sicher trägt das derzeitige Übermaß an Identitätspolitik und der Mangel an Responsivität politischer Strukturen dazu bei, dass die Enttäuschten, die vom Strukturwandel Abgehängten und die Globalisierungsverlierer in den peripheren Räumen einem neuen Sozialdarwinismus verfallen. Aber die AfD-Wähler_innen haben eines gemeinsam: sie sorgen sich. Sorgen sich um die Zukunft, um die Absicherung im Alter, um die Kriminalität im Umfeld, die Zukunft ihrer Kinder, ihren Arbeitsplatz, ihre Wohnsituation. Und immer schielt man sozialneidisch auf die vermeintlich privilegierten Ausländer und Geflüchtete, die Ihnen angeblich die Arbeit und die Wohnungen wegnehmen.

Die AfD macht jedoch wohlweislich keine Sozialpolitik. Zu einem stimmigen Konzept zu kommen, dazu ist sie innerlich zu stark zerstritten. Aber sie weiß, den Sozialneid zu schüren. Die AfD stellt ihre Propagandavideos auf Youtube und Facebook ein, mehr als alle anderen Parteien zusammen. Dabei profitiert sie von der Politik der „Echokammern“, bei der sich die Gleichgesinnten zur selbstreferentiellen Kommunikation treffen, hermetisch abgeriegelt von eventuell irritierender anderer Informationen und Meinungen. Für 18 bis 24-jährige ist die Hauptinformationsquelle Social Media. Ein Viertel aller Deutschen nutzt Facebook als Info-Kanal des Vertrauens. Social Media Beiträge erscheinen aber auch wenig später in den klassischen Medien. Die Funktionäre der AfD wissen, wie man die Feuer des Hasses schürt und planen einen eigenen „Newsroom“ mit 20 Mitarbeiter_innen, für den medialen Aufbau von pseudo-informativen Parallelwelten, frei von störender Objektivität. Dabei bedient sich die AfD zunehmend aus dem klassischen Methodenkoffer der Linken: Plakate, Schriftzüge, Instrumente und Formate werden kopiert und sind oft erst auf den zweiten Blick, manchmal auch gar nicht, als rechtsradikale Propaganda zu erkennen.

Was tun? Den AfD-Abgeordneten raten, sich an das Ausstiegstelefon für Neonazis zu wenden, wie es Cem Özdemir empfiehlt? Oder selbst nach rechts rücken, am rechten Rand abfischen, wie derzeit die FDP und CSU? Nur die Hälfte der AfD-Wähler_innen sind verhärtete Rechte, die andere Hälfte sind weicher, wandlungsfähiger, ordnen sich eher links von der AfD ein. Oder die soziale Kohäsion fördern, die Sprache verändern, Responsivität entwickeln, akute Verbesserungen für die abgehängten Leistungsträger_innen in den „rust belts“ zu bewirken, statt Zukunftsmusik zu komponieren? Wichtig ist für die Zivilgesellschaft, aus der Defensive rauszukommen. Wichtig ist es, ein eigenes Profil zu bilden, die Widersprüche aufzuzeigen. Rechte Aktivist_innen können keine Partner sein. Die Abgrenzung gegen rechts bedeutet auch, die Frames zu ändern, die von der AfD vorgegeben werden. Worte wie „Flüchtlingswelle“ sollen gezielt Angst erzeugen. Mit Rechten Reden? Kommt auf das Setting an. Mit wem habe ich es konkret zu tun? Was ist meine Rolle? Was ist mein Ziel? Gesprächsstrategie sollte sein, eigene inhaltliche Pflöcke einzuschlagen, seine eigene Expertise zu betonen, Provokationen ins Leere laufen lassen. Man muss nicht über jedes Stöckchen springen, das einem die AfD hinhält. Für uns als Aktionsbündnis bedeutet das, scharf jegliche Diskriminierung zurückweisen und durch klare Statements Profil zu zeigen. Einladungen der AfD werden wir nicht annehmen, bei Anfragen werden wir freundlich, aber bestimmt absagen, denn wir „sehen nicht genügend Gemeinsamkeiten für eine konkrete Gesprächsbasis“. Bei Diskussionsveranstaltungen werden wir ruhig und freundlich bleiben und den „Kampfbegriffen“ mit Humor und Ironie begegnen. Und falls das alles nicht wirkt, kann man auch mal von seinem Hausrecht Gebrauch machen und schlichtweg das Mikrofon ausschalten.

Aktionsbündnis gegen AIDS, 2024