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Der Preis des Lebens

Foto: Peter Wiessner

Rückblick auf eine parlamentarische Veranstaltung, gemeinsam durchgeführt von Ärzte der Welt, Ärzte ohne Grenzen, Deutsche AIDS-Hilfe, BUKO-Pharmakampagne und dem Aktionsbündnis gegen AIDS am 19. September 2016 in Berlin.

Es begann wie ein Märchen…

Es war ein lang erhoffter Durchbruch, als der US-amerikanische Pharmakonzern Gilead 2013 den Wirkstoff Sofosbuvir gegen Hepatitis C auf den Markt brachte. Das Medikament ist einfach einzunehmen, nebenwirkungsarm und hochwirksam gegen eine weit verbreitete tödliche Krankheit. Die bis dato verfügbaren Medikamente gegen Hepatitis C waren so nebenwirkungsstark, dass sie oft nicht verschrieben werden konnten. Doch der Preis für die Behandlung dämpfte rasch die Euphorie: Mit Preisen zwischen 37.729 und 64.680 US$ für eine Therapie von 12 Wochen sind Krankenversicherungssysteme auch in reichen Ländern überlastet. Auch deshalb können nicht alle behandelt werden und wir haben längst auch bei uns ethische Diskussionen, die noch vor wenigen Jahren unvorstellbar gewesen wären. Engpässe sind auch in Länden des globalen Nordens längst keine Einzelphänomen mehr: In Haftanstalten - mit ihrem begrenzten Gesundheitsbudget – ist an eine Therapie für alle nicht zu denken. Aufgrund der Kriminalisierung des Drogengebrauchs und der vielen Personen, die wegen Drogendelikten in Haft sind, wird eine Hepatitis C Prävalenz in Deutschlands Haftanstalten von bis zu 20% vermutet - in anderen Ländern liegt sie noch höher.  

Der Fall Sofosbuvir lenkt damit in Europa die Aufmerksamkeit auf ein globales Problem: Hohe Preise verhindern oftmals den Zugang zu lebensnotwendigen Medikamenten. Gleichzeitig bestehen geringe Anreize, Medikamente für Krankheiten zu entwickeln, für die es keinen lukrativen Markt gibt. Beides schränkt das Recht auf Zugang zu Gesundheitsversorgung ein.

Während der parlamentarischen Veranstaltung wurde gefragt, welche Möglichkeiten der Regulierung von Medikamentenpreisen denkbar wären und welche Maßnahmen zur Verbesserung des Zugangs zu essentiellen Medikamenten geeignet sind und durchgesetzt werden sollten.

Dass die Preise für Medikamente und der Zugang zu Medikamenten auch Themen für den Bundestag seien betonte Kordula Schulz-Asche in ihrer Begrüßungsrede als Schirmherrin der Veranstaltung. Problematisch sei, dass die Forschung in den Händen gewinnorientierter, privatwirtschaftlicher Unternehmen läge. Dies führe teilweise dazu, dass der Zugang zu Medikamenten wegen der hohen Preise auch im globalen Norden eingeschränkt sei. In den USA seien bereits jetzt viele Therapien nicht mehr finanzierbar, auch in Frankreich werde bereits jetzt nach ökonomischen Gesichtspunkten über Therapien entschieden.

Marktversagen und Verschleierungstaktik der Kosten

Johanna Offe, Ärzte der Welt, verdeutlichte, dass die Produktionskosten des Medikaments Sovaldi der Firma Gilead nicht mit den Preisen in Relation stünden. Die Industrie behaupte gerne, dass die Entwicklungskosten eines Präparats durch den Preis des Medikaments refinanziert werden. Im Fall von Gileads Hepatitismedikamenten betragen die Einnahmen aber schon jetzt das 38fache der Forschungskosten. Möglich sind diese hohen Preise durch ein Marktversagen bei Arzneimitteln: die Nachfrage ist bei einem lebensnotwendigen Medikament kaum abhängig vom Preis. Gleichzeitig gibt es durch den Patentschutz keine Konkurrenz. Die Verantwortung, bezahlbare Medikamente verfügbar zu machen liegt daher beim Staat – und darf nicht abhängig sein vom Goodwill profitorientierter Unternehmen.

Die mangelnde Transparenz ist - und das betrifft sowohl die Herstellung der Medikamente, als auch die Praxis geheimer Rabattverträge - Teil des Kernproblems. Anstatt diese Intransparenz, wie im Pharmadialog vereinbart, auszuweiten sollten geheime Rabattverträge abgeschafft, die Preise für extrem teure Medikamente neu verhandelt und die Möglichkeit, Zwangslizenzen auszustellen auch bei uns stärker ausgeschöpft werden.

Auch um darauf hinzuweisen, dass Patente ein wesentlicher Grund für die überhöhten Preise sind, hat Ärzte der Welt das Patent von Gilead auf Sofosbuvir beim Europäischen Patentamt angefochten. Die öffentliche Anhörung findet am 4. und 5. Oktober statt.

Leben oder Profit

Astrid Berner-Rodoreda, Brot für die Welt und Aktionsbündnis gegen AIDS, verglich die weltweiten Daten zu HIV und HCV und legte dar, dass es nun darum geht, die Lektionen aus HIV für HCV zu nutzen. Sie zeigte am Beispiel des Zugangs zu HIV-Medikamenten auf, dass nur durch preisgünstige Generika die lebensrettende Therapie in Afrika beginnen konnte. Die Kosten für HIV-Medikamente der ersten und der zweiten Generation konnten dadurch wesentlich gesenkt werden. Bei der dritten Therapielinie sei die Lage jedoch schwieriger, da diese Medikamente kaum generisch vorhanden seien und in vielen Ländern, vor allem auch in Osteuropa unter Patent stünden. Sie verwies auf wichtige TRIPS-Flexibilitäten wie Zwangslizenzen und Parallelimporte, die günstigere Medikamentenpreise ermöglichen – allein schon durch die Androhung von Zwangslizenzen konnten große Preisreduzierungen erreicht werden. Auch die USA haben dieses legitime Mittel bei den Anthraxangriffen angedroht und dadurch eine 50-prozentige Preissenkungen für das Medikament gegen Milzbrand erzielt. Bei anderen Ländern sind die USA jedoch schnell dabei, mit Wirtschaftssanktionen zu drohen, wenn ein Land eine Zwangslizenz ankündigt. Ein weiteres sehr wichtiges Instrument, um Medikamente preisgünstig zugänglich zu machen, sei die Einschränkung der Patentierbarkeit. Indien geht hier sehr restriktiv vor – nur wirklicher therapeutischer Mehrwert erhält ein Patent, keine leichten molekularen Veränderungen. Südafrika dagegen sei das Land, das die meisten Patente auf Medikamenten vergebe. Die südafrikanische Zivilgesellschaft und das Gesundheitsministerium versuche schon seit langem, dies zu ändern.

Dass heute Millionen von Menschen im Globalen Süden mit HIV-Medikamenten therapiert werden können, ist hauptsächlich AktivistInnen, wie bspw. der Treatment Action Campaign (TAC) aus Südafrika zu verdanken. Es war Zackie Achmat, der Gründer von TAC, der im Kampf gegen das Gebaren der Industrie den Satz: „This case is about life or greed“ prägte. 39 Pharmahersteller hatten Südafrika aufgrund eines Gesetzes, das Zwangslizenzen und Parallelimporte zuließ, verklagt. Durch die Interventionen TACs sahen sie zunehmend ihr Image in Gefahr und zogen die Klage 2001 zurück. Auch Wissenschaftler und ÄrztInnen verlangen heute, kostengünstigere Preise für Hep B, Hep C und HIV-Medikamente (90$ pro Person und Jahr, bzw. pro Person und Therapie), um alle therapieren zu können. Hier ist Gilead nun gefragt, seine Medikamente an den Patentpool zu lizenzieren, so dass Länder des globalen Südens von preisgünstigen Generika profitieren können.

Entkoppelung - als Antwort auf die Mär‘ von den Entwicklungskosten

Christian Wagner, von der BUKO Parma Kampagne warf die Frage auf, wie man dafür Sorgen tragen könne, dass Medikamente günstiger entwickelt bzw. kostengünstiger auf den Markt gebracht werden könnten. Es sei eine Mär‘ zu glauben, dass die Preise der Medikamente deren Entwicklungskosten finanzierten. Das Beispiel Gilead belege eindrücklich, dass sich die Preise eher danach ausrichteten, was die Gesellschaft bereit sei zu zahlen. Dazu käme noch, dass in der Entwicklung von Medikamenten oft öffentliches Forschungsgeld stecke, teilweise werde deren Entwicklung von bis zu 50% durch öffentliche Haushalte finanziert. Als Lösung schlägt Wagner vor, die Produktpreise eines Medikaments von der Entwicklung zu entkoppeln: als „De-Linkage“ - frei übersetzt: „Entkoppelung“ – werden entsprechenden Konzepte bezeichnet. Forschungskosten neuer Medikamente könnten durch deren Aufteilung unter verschiedener Staaten und die Einzahlung in internationale Forschungsfonds vorab finanziert werden. Das seien keine „akademischen Hirngespinste“. Bei der WHO sei derzeit ein Forschungsfond für Antibiotika in Gründung. Auch die Bundesregierung unterstütze zumindest das Antibiotika-Projekt mit einer Anschubfinanzierung. Dringend nötig sei aber eine langfristige und wesentlich höhere Finanzierung, an der sich möglichst viele Länder beteiligen.. Ein Forschungsfonds dürfe aber nicht zur Industriesubventionierung dienen, sondern müsse ein öffentliches Projekt sein. Die grundlegende Frage sei, wer die Kontrolle habe und die Richtung vorgebe und welche Rolle die Industrie einnehme: Transparenz, öffentliche Kontrolle, definierte Bedingungen und Ziele seien nötig, wenn dies zum Erfolg führen solle.

Internationale Empfehlungen sind eindeutig – worauf warten wir noch?

Marco Alves, Ärzte ohne Grenzen, beleuchtete den internationalen politischen Rahmen und Verhandlungsgrundlagen der Bundesregierung – insbesondere auch in Hinblick auf die anstehende deutsche G20-Präsidentschaft. So sei zu hoffen, dass Fragen des bezahlbaren Zugangs zu und der Forschung und Entwicklung von Impfstoffen, Diagnostika und Medikamenten im Rahmen der G20 diskutiert werden. So  bspw. mit Blick auf vernachlässigte und armutsassoziierte Krankheiten, neue und vermehrt auftretende Infektionskrankheiten wie Ebola oder Antimikrobielle Resistenzen (AMR).

Das Recht auf Gesundheit und den Zugang zu Medikamenten seien im Rahmen zahlreicher internationaler Prozesse und Erklärungen wie den nachhaltigen Entwicklungszielen (SDGs) in letzter Zeit immer wieder unterstrichen worden. Dazu gehört auch die vollständige Nutzung sog. Flexibilitäten, die das Übereinkommen der Welthandelsorganisation WTO über handelsbezogene Aspekte geistiger Eigentumsrechte (TRIPS) Mitgliedsstaaten zum Schutz der öffentlichen Gesundheit einräumt. Eine davon ist die Möglichkeit Zwangslizenzen auszustellen. Das gilt sowohl für Länder des globalen Südens wie des globalen Nordens. Die kürzliche Zwangslizenzierung für das HIV-Medikament Raltegravir durch das Bundespatentgericht zeige, dass dies auch bei uns gelte.

Durchaus wegweisend seien die Empfehlungen des Mitte September veröffentlichten Berichts des „UN High Level Panel on Innovation and Access to Health Technologies“. Die Empfehlungen in Bezug auf bezahlbare Medizinprodukte, Transparenz in der pharmazeutischen Industrie und weiterführend die Entkoppelung der Kosten für Forschung und Entwicklung von den Verkaufspreisen und -mengen müssten nun von Regierungen aufgegriffen und als Handlungsmaxime weiterverfolgt werden.

Fazit

In der Abschlussrunde wurde festgehalten, dass die hohen Preise der Medikamente Handlungsbedarf herausfordere. Insgesamt herrsche Optimismus vor. Gut sei es, dass das Thema in den SDGs vorkomme, die Möglichkeiten Zwangslizenzen umzusetzen, werde in allen maßgeblichen internationalen Beschlüssen erwähnt und immer öfter auch in der westlichen Welt aufgegriffen. Als durchaus positives Zeichen sei zu werten, dass nun zum ersten Mal auch Vertreter/innen der Industrie offiziell von einem Marktversagen sprechen. Die Antibiotika-Forschung verdeutliche dies eindrücklich. Es bestünde durchaus Hoffnung, dass dies auch auf andere Bereiche, bei denen es zu Marktversagen komme, übertragen werden könne. Frau Kordula Schulz-Asche betonte zum Abschluss, dass die Bundesrepublik auf internationaler Ebene gut aufgestellt wäre. Besorgniserregend sei jedoch, dass es so wenige unabhängige Patientenorganisationen gebe, die ihre Stimme geltend machten.

Die Kampagne DER PREIS DES LEBENS

Der Preis des Lebens war das Motto des Parlamentarischen Abends. Ärzte der Welt startet in diesen Tagen eine Kampagne zum gleichen Thema. Die Durchführung des parlamentarischen Abends bot dazu einen gelungenen Auftakt.

Die Kampagne kommt zur rechten Zeit. Wir sind auf die Ergebnisse gespannt!

Links zur Petition

Wer die Petition der Kampagne unterzeichnen möchte, hier ist der Link: https://thecostoflife.org/de-DE/

Homepage Ärzte der Welt mit vielen weiteren Informationen:  http://www.aerztederwelt.org

Aktionsbündnis gegen AIDS, 2024