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Tuberkulose global - die Haupttodesursache für Menschen mit HIV

Ausblick auf das High Level Meeting bei den Vereinten Nationen am 26. September 2018

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Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation aus 2016 sterben jährlich 1,7 Millionen Menschen an einer Tuberkulose (TB). Darunter befinden sich 1,3 Millionen HIV-negative Personen und ca. 400.000 Personen mit einer HIV/TB Ko-Infektion. Damit stellt die TB die Haupttodesursache von Menschen mit HIV dar. Zirka zwei Milliarden Menschen tragen weltweit den Erreger in sich. 10 Millionen Menschen infizieren sich jedes Jahr neu, jedoch werden nur 60 Prozent dieser Neuinfektionen diagnostiziert. Es trifft vor allem Menschen in Ländern mit prekärem medizinischem Versorgungssystem. Als besonders bedrohlich wird die TB derzeit vor allem im Kontext von Resistenzbildungen wahrgenommen. Dies nicht ohne Grund: in 2016 wurden bereits 600.000 medikamentenresistente TB Fälle diagnostiziert. Zirka ein Drittel aller durch Antibiotika- oder auch antimikrobielle Resistenzen (AMR) erklärbaren Todesfälle, gehen auf TB zurück.

Am 26. September 2018 findet bei den Vereinten Nationen zu Tuberkulose ein wichtiges, auf höchster politischer Ebene angesiedeltes Treffen („High Level Meeting“ - HLM) der Staatengemeinschaft statt. Die Erwartungen an das Treffen sind hoch. Dass bei den Vereinten Nationen entsprechende hochrangige Treffen zu einzelnen Krankheiten stattfinden, kommt eher selten vor.

Von der Krankheit der Sensiblen und Vornehmen zur Armutserkrankung

In der Literatur des 19. Jahrhunderts galt die Tuberkulose als Krankheit der Feingeistigen. Susan Sontag beschreibt in Ihrem Buch „Krankheit als Metapher“, wie die Tb zur erbaulichen, vornehmen Krankheit stilisiert wird, die den sterbenden Tuberkulosekranken verschönert, seelenvoller erscheinen lässt. Für Snobs und andere gesellschaftliche Aufsteiger galt die Tb als ein Anzeichen dafür, „dass man vornehm, zart und sensibel war“. Die Ironie des Zauberbergs – Manns Roman selbst wird von Sontag als „selbstreflektierter Kommentar zum Mythos Tb“ bezeichnet - liegt denn auch darin, „dass  Hans Castorp, der schwerfällige Bürger, Tb, die Künstlerkrankheit bekommt“.

Zuschreibungen, die mit Krankheiten einhergehen, verändern sich: Heute ist die TB eine Krankheit der Armen und sozial Verelendeten. Dies ist auch Grund dafür, dass die an Gewinn orientierte pharmazeutische Industrie viele Jahrzehnte kaum an der Entwicklung neuer Medikamenten, Impfstoffe oder Diagnostika interessiert war: wozu auch in Bereichen forschen, die keine Gewinne abwerfen?

Dieser Kontext ändert sich nun langsam. Spätesten seit dem G20 Gipfel in Hamburg stehen „globale Gesundheit“, „AMR Resistenzen“ und  „Tuberkulose“ auf der Tagesordnung der Weltgemeinschaft. Es ist ein ermutigendes Zeichen, dass langsam erkannt wird, dass die, durch die Staatengemeinschaft verabschiedeten nachhaltigen Entwicklungsziele nicht erreicht werden können, wenn der Kampf gegen die TB nicht umgehend verstärkt wird.

Die Erwartungen an das HLM zu Tuberkulose sind hoch

Das erste HLM zu HIV wurde im Juni 2001 von dem damaligen UN Generalsekretär Kofi Anan einberufen und hat im Nachhinein eine damals unvorstellbare Wirkung entfaltet. Die Gründung des Globalen Fonds zur Bekämpfung von HIV, TB und Malaria ist aus dem HLM hervorgegangen. Multilaterale Strukturen, wichtig für die Entwicklung von globalen HIV-Strategien und Standards, wie bspw. UNAIDS, wurden gestärkt. Positive Auswirkungen betreffen nicht nur institutionelle Ebenen. In vielen Ländern wurde damals die Bedrohung aufgegriffen, nationale AIDS Strategien wurden entwickelt und umgesetzt, Finanzmittel zur Verfügung gestellt. Die Behandlung von derzeit mehr als 20 Millionen Menschen mit HIV durch antivirale Therapien (immerhin mehr als die Hälfte aller mit HIV lebenden Menschen) konnte sichergestellt werden. Dass dies auch in Ländern des globalen Südens umgesetzt werden konnte, ist auch ein Resultat der um mehr als 90% gesunkenen Medikamentenpreise, was ohne die flexible Handhabung des Patentrechts und die Ausschöpfung der sogenannten TRIPS Flexibilitäten kaum möglich gewesen wäre.   

Das sind großartige Erfolge, die im Jahr 2001 so niemand vorauszusagen gewagt hätte. Der Sachverhalt, dass heute viele Menschen mit HIV noch immer keinen Zugang zu Behandlungsmöglichkeiten haben, erinnert daran, was durch politischen Willen und gemeinsame Anstrengungen erreicht werden kann und noch zu tun verbleibt.  Das HLM zu HIV und die anschließenden Verpflichtungserklärungen der Staatengemeinschaft stellen wesentliche Bausteine des Kampfes gegen HIV dar. International tätige und an globaler Gesundheit interessierte Zivilgesellschaften und NGOs kämpfen derzeit dafür, dass sich durch das HLM zu Tuberkulose eine vergleichbare Wirkung entfaltet.

Empfehlungen der Zivilgesellschaft erarbeitet

Das Aktionsbündnis gegen AIDS erarbeitete mit Kooperationspartner_innen ein Positionspapier mit konkreten Empfehlungen, für die zu dem HLM vorgesehene Abschiedserklärung.

In sieben Themenfeldern werden die für die deutsche Zivilgesellschaft wesentlichen Forderungen herausgearbeitet.

An erster Stelle wird in dem Papier an Stellenwert und Verantwortlichkeit politischer Führung appelliert. Zu oft wurde erlebt, dass Erklärungen abgegeben wurden, die des Papiers nicht wert waren, auf dem sie gedruckt sind: politische Erklärungen ohne konkrete Zielsetzungen, zeitlichen Rahmen, Zuständigkeit, verfügbare Finanzmittel und die Möglichkeit Ergebnisse zu überprüfen. Aktivist_innen erfanden das Wort der „declaration fatigue“ („Deklarationsmüdigkeit“), um zu umschreiben, dass inhaltsleere Erklärungen nicht länger hingenommen werden.

Wir erwarten von der Bundesregierung, dass Frau Kanzlerin Merkel das HLM zur Chef_innensache macht und ihre Teilnahme an dem Treffen zügig bekannt gibt, um auch andere Staatsmänner und -frauen zur Teilnahme zu bewegen. Je hochrangiger das Treffen besetzt ist, desto sicherer können wir davon ausgehen, dass es zu verbindlichen Zusagen kommt. Die Kanzlerin wurde am 8. Juni 2018 in einem von neun zivilgesellschaftlichen Organisationen unterzeichneten Brief zur Teilnahme an dem HLM aufgefordert.

Menschenrecht, TB produzierende Settings und Menschen in Haft

In den Empfehlungen wird gefordert, dass sich die Abschlusserklärung an Menschenrechten, den Bedürfnissen und Lebensrealitäten der Menschen mit TB und der durch sie vertretenen Gruppen orientiert:  Armut, schlechte Lebensbedingungen, Unterernährung und Überbelegung in Sammelunterkünften erhöhen das Risiko der TB. Die baulichen Bedingungen in Gefängnissen und manchen Gemeinschaftsunterkünften, aber auch manche Arbeitsplätze, bspw. für Minenarbeiter, stellen eine Brutstätte für TB dar. Menschen in Haft haben das Recht darauf an sicheren Orten zu leben. Die Schädigung der Gesundheit darf kein Teil der Strafe sein!

Zu den konkreten Forderungen gehört das Recht darauf, den TB Status zu erfahren. Dienstleistungen sollten an den Bedürfnissen der von TB betroffenen Schlüsselgruppen, wie bspw. Flüchtlinge, Migranten, Gefangene, Menschen, die in Gesundheitsberufen arbeiten, Drogengebrauchende, Menschen mit Begleiterkrankungen, wie HIV und Diabetes etc.,  angepasst werden. Gefordert wird die Abschaffung der Abschiebung von Menschen mit TB und anti-diskriminierende Maßnahmen. Zu guter Letzt wird eine bessere Kooperation zwischen den Gesundheits- und den Justizministerien gefordert, um den Ausnahmestatus in der sich Menschen in Haft befinden, zu beenden und Haft als Brutstätte der TB besser adressieren zu können.

Gefordert wird eine umfassende Bearbeitung der gegen TB gerichteten Vorhaben. Die alleinige Fokussierung auf biomedizinische Interventionen, Behandlung und Diagnose reicht nicht. Die sozialen Determinanten der TB, wie Armut, Ernährung, Arbeits- und Lebensbedingungen, Alkohol- und Tabak Konsum, sowie Begleiterkrankungen, wie Diabetes und HIV, müssen mit Bedacht und sektorenübergreifend bearbeitet werden.

Die Diskriminierung, die Menschen mit HIV erfahren, darf sich bei TB nicht wiederholen!

Besonders hervorgehoben werden Maßnahmen gegen die Diskriminierung von Menschen mit TB. Die Darstellung von AMR Resistenzen als globale Herausforderung und Bedrohung kann zur Diskriminierung der von TB betroffenen Gruppen und zu deren weiteren Marginalsierung führen. Das Stigma das HIV heute immer noch umgibt, ist das direkte Resultat der Ängste schürenden Wahrnehmung und Berichterstattung der ersten Jahre des HIV Geschehens. Das darf sich mit TB nicht wiederholen! Im Mittelpunkt jeglicher gegen TB gerichteter Bestrebungen, sollte deshalb die Wahrnehmung und Akzeptanz der Menschenrechte stehen: ungerechtfertigte Verhaftung und Überbelegung in Gefängnissen und (Sammel-) Unterkünften sind nicht hinnehmbar. Um Hass und (Infektions-) Ängste zu schüren, wurden in den vergangenen Monaten epidemiologische Daten des Robert-Koch-Instituts zu TB zu politischen Agitationszwecken missbraucht, was nicht hinnehmbar und aktiv bekämpft werden sollte. TB ist behandelbar und, wenn behandelt, nicht ansteckend. Das Recht auf Gesundheit ist ein hohes Gut das gegen rechtspopulistische Parteien verteidigt werden muss.

TB besonders bei Kindern ein Problem

Zu viele Menschen wissen nichts von ihrer TB Infektion, global werden 40% der Fälle nicht diagnostiziert. Das bringt sowohl Gefahren für die eigene Gesundheit, aufgrund der Infektiosität aber auch für andere mit sich. Das ist vor allem auch für Kinder ein Problem: allein in 2017 erkrankten eine Millionen Kinder an TB, 200.000 starben daran. Gefordert wird, dass die Abschlusserklärung klare Zielvorgaben zur Anzahl der vorgesehenen Tests, zu durchgeführten Behandlungen und zu Prävention benennt, deren (erfolgreiche) Umsetzung dann kontrolliert werden kann. 

Unabhängige Forschung!

TB ist eine der ältesten Erkrankungen, die die Menschheit kennt. Doch noch immer gibt es keine adäquate Diagnostik, Impfung und Behandlung. Für multiresistente TB Keime sind dringend neue Antibiotika notwendig. Die Erfolgsrate der derzeitigen Medikamente zur Behandlung von Resistenzen liegt gerade einmal bei 52%. Die Standardmedikamente haben erhebliche, schmerzhafte Nebenwirkungen. Mehr als 50% derjenigen, die gegen resistente TB behandelt werden erfahren permanenten Gehörverlust. Dass all dies für Compliance nicht wirklich förderlich ist versteht sich von selbst: gebraucht werden neue, bessere und bezahlbare Medikamente, Diagnostika und Impfstoffe. Dass eine von Profitinteressen geleitete Industrie hier keinen Ausweg bieten wird, liegt auf der Hand. Die Weltgemeinschaft muss die Verantwortung übernehmen, in unabhängige Forschung investieren und dafür Sorge tragen, dass die Preise für TB Medikamente von den Kosten für deren Entwicklung (sowie deren Bewerbung und Vermarktung) entkoppelt werden.

Die durch den Globalen Fond geschaffenen Strukturen nutzen

Da dies alles Geld kostet, wird im letzten Kapitel der Forderungen auf die Lücken in der Finanzierung von TB Forschung, Behandlung und Prävention verwiesen. Besonders hervorgehoben wird die Rolle des Globalen Fonds. 56% aller global bisher ausgegebenen Mittel für den Kampf gegen Tuberkulose wurden bisher über den Globalen Fonds finanziert. Die durch den Globalen Fond geschaffenen Strukturen sollten genutzt werden. 12,3 Milliarden US Dollar sind jährlich nötig, um die, durch die WHO und der Stop TB Partnership vorgeschlagenen Programme zur Beendigung von TB, finanzieren zu können. Zusätzlich zwei Milliarden braucht es, um die nötigen Forschungsprogramme zur Entwicklung neuer Medikamente, Diagnostika und Impfstoffe umsetzen zu können.

Wir erwarten, dass in der Abschlusserklärung des HLM im September konkrete Zusagen gemacht werden und dass die bisherigen Anstrengungen der Zivilgesellschaft, das Treffen zum Erfolg werden zu lassen, nicht vergeblich gewesen sind.

Am 4. Juni 2018 hat in New York eine erste Anhörung der Zivilgesellschaft stattgefunden. Der erste Entwurf der Abschlusserklärung wurde wenige Tage vor dem Treffen öffentlich gemacht. Die durch das Positionspapier vorgeschlagenen Themen werden dabei nur sehr unzureichend berücksichtigt. Zu den Settings, die für die Verbreitung der Tuberkulose verantwortlich zu machen sind, findet sich kaum etwas. Das Wort „Haft“ wird nur ein einziges mal benannt. Die Themen „Menschenrechte“ und „Diskriminierung“ sind ebenfalls vernachlässigt. Weder finden sich Aussagen zu konkreten Kosten oder finanziellen Zusagen zur Finanzierung von nötigen Programmen.  
Die Forderungen des Papiers der deutschen Zivilgesellschaft stellen deshalb eine sehr nützliche und für den weiteren Diskurs hilfreiche Ergänzung dar.
In einem Gespräch mit Vertreter_innen der ständigen Deutschen Vertretung der Vereinten Nationen kam zutage, dass die wirklich heiklen Punkte der Abschlusserklärung sehr wahrscheinlich bei Fragen zur Finanzierung und zur Nutzung der TRIPS Flexibilitäten liegen werden, demnach Staaten berechtigt sind unter bestimmten Bedingungen Patentrechte der pharmazeutischen Industrie zu umgehen bzw. flexibel zu interpretieren. Kontrovers diskutiert wird sicherlich auch die Frage, ob die Bedarfe der von TB betroffenen Gruppen (bzw. die Gruppen überhaupt) benannt bzw. hinreichend reflektiert werden.

Derzeit wird um einzelne Textpassagen der Anschlussdeklaration gerungen, welche im September verabschiedet werden soll. Welche Staaten sich mit ihren Vorstellungen durchsetzen, wird sich zeigen. Einiges ist bereits jetzt sehr deutlich: Die Industrie hat im Einklang mit ihren Interessenvertreter_innen in der Politik, ein starkes Interesse daran, zukünftige Einnahmen nicht zu schmälern. Einzelne Staaten kämpfen dafür, dass sich in dem Dokument keine konkreten finanziellen Zusagen finden. Die Zivilgesellschaft versucht das für Menschen mit TB Mögliche herauszuholen und erinnert daran, dass einmalige Chancen auch verstreichen könnten.

Im September wissen wir mehr.  

 Quellen:    

Zero draft des Abschlussdokuments: https://www.un.org/pga/72/wp-content/upl...

Positionspapier der Deutschen Zivilgesellschaft: Towards the 2018 UN High-Level Meeting on TB in New York. Recommendations by German Civil Society Organizations (Aktionsbündnis gegen AIDS, BUKO Pharma-Kampagne, Deutsche Lepra und Tuberkulosehilfe, Deutsche Stiftung Weltbevölkerung, Missionsärztliches Institut Würzburg, Ärzte ohne Grenzen) 

Sontag, Susan: Krankheit als Metapher. Frankfurt am Main, 1993

Weitere Informationen zum HLM: http://www.who.int/tb/features_archive/U...

WHO Fact Sheet TB und HIV: https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=...

Der ganze Artikel als PDF:

Aktionsbündnis gegen AIDS, 2024